2022


Juli, August, September 2022


KURT HALLER
Über ein Eislinger Urgestein

Im Gedenken an Margot Haller

Gleich vorneweg: Noi, ein Manfred Rommel oder Josef Mühlberger war er nicht, der Kurt Haller, obwohl auch er Bücher geschrieben und veröffentlicht hat.
   In heutiger Zeit aber, in der schon Elfjährige bei Aushändigung bedenklich stimmender Zeugnisse an ihre Eltern auf deren entsprechend hysterisch-entgeisterte Nachfrage, welchen Beruf sie sich denn, um Gottes Willen, mit solchen Noten vorstellen, ganz tiefenentspannt mit: „Na, ey, ich werd` berühmt!“ antworten, muss der Verfasser dieser Zeilen (VdZ) gleich mal festhalten: In Sachen Originalität, Fleiß, Disziplin und dem Mitmenschen zugewandt sein stand Kurt Haller mit den eingangs genannten Persönlichkeiten mehr als auf Augenhöhe.
   Ein ruheloser Schaffer und Macher war er zeitlebens, einer, der stets neue Herausforderungen suchte und fand und – da für ihn Taten zählten, nicht Worte – als „Projekte“ anging. Ein freier Geist im besten Sinne war er sowieso. Fast bis zu seinem Tod im März 2004 kam er dem VdZ im Kopf und Herzen jünger vor als mancher nach Jahren Junge – man sehe sich nur um unter unseren heutigen moralischen Vorbildern in der wunderlichen Welt der Politik.

****

Geboren wurde Kurt Haller 1923 als Sonntagskind in Göppingen. Umhegt von einer liebevollen Mutter und zum Männlichsein angehalten von einem diszipliniert lebenden Vater wuchs er heran und besuchte schließlich das Freihof-Gymnasium  – bis er von den Erbauern eines Tausendjährigen Reiches – das dann doch schon nach einem Dutzend furchtbarer Jahre in purem Grauen und dank Herrn Hitlers heldenhafter Selbsttötung implodierte – aus der Schule geholt und geradewegs in den Zweiten Weltkrieg gehetzt wurde … und am eigenen Leib, dem eigenen Seelenheil erfahren musste, was wir Spätgeborenen dank Bernhard Wickis Film Die Brücke bestenfalls erahnen, nämlich wie wenig wert ein Menschenleben im Krieg ist.
  Vielleicht muss, vielleicht kann oder, noch besser: sollte man da genauso werden, wie Kurt Haller wurde. Aus der Kriegsgefangenschaft floh er und riskierte dabei Kopf und Kragen. Mit eisernem Willen schlug er sich durch, zurück in die Heimatstadt. Der Gedanke an das kesse Mädchen Margot, in das er sich schon in seiner Schulzeit verguckt habe, sei ihm dabei der mächtigste Leitstern gewesen, erzählte er mal, anfangs eher zögerlich, vielleicht, um gleich gar keine Ähnlichkeiten mit dem einstigen Bestseller und TV-Erfolgsvierteiler So weit die Füße tragen heraufzubeschwören. Erst bei späterer Gelegenheit setzte er die Pointe: Umgekehrt herum habe es keinesfalls dermaßen gefunkt wie bei ihm, ganz im Gegenteil: die von ihm angeschmachtete Hübsche habe ihn komplett ignoriert.
   Aber, sei es ihm damals während der durchaus langen, beschwerlichen Heimkehr ins Filstal ständig durch den Kopf gegangen, was ist, muss ja nicht so bleiben. Und so wurde, endlich wahrhaftig zurückgekehrt, das Werben um Margot wohl eins seiner ersten „Projekte“. Froh, den Gräueln des Krieges und der Gefangenschaft entkommen zu sein, und in erbärmlichem Zustand habe er alles in die Waagschale geworfen – und tatsächlich „erbarmte“ sich die kesse, mittlerweile auch erwachsene Margot schließlich und sagte „Ja!“. Sie wurde seine Frau, Mutter seiner drei Töchter, seine Vertraute, beste Freundin und „diejenige, die ihn allzu gern mit seinen Marotten stichle.“ Die Wörtchen „erbarmte“, „Marotten“ und  „Sticheln“ sind allesamt O-Ton Margot Haller, ausgesprochen wurden sie im Beisein des VdZ überaus charmant, jedoch koboldhaft lächelnd. Und Kurt nickte lachend dazu.
  Kurt Haller machte nie ein großes Aufhebens um sich, stattdessen sprudelte er meist über vor Interesse für dies und jenes. Den Koran studierte er genauso wie die Bibel (Altes und Neues Testament) und alle großen Weltreligionen. Er kannte sich mit den Lehren Buddhas aus und mit den dreizehn Lebens-Prinzipien der Shaolin und mit tausenderlei anderem Wissenswerten sowieso. Als der VdZ in einem seiner Bücher ein Übernachten im Freien mal allzu weltfremd und karl-may-mäßig romantisiert schilderte, wurde er prompt auf den Hohenstaufen eingeladen. Unterhalb der Spielburg legte man sich der Länge nach, Kopf hangabwärts, Richtung dortigem Weg, ins noch sonnenwarme Gras, bewunderte schweigend die hoch droben kühl funkelnden Sterne und spürte der gemächlich in sich rein kriechenden Kälte nach … bis die „Schreibtisch-Eminenz“ (natürlich der VdZ im O-Ton Kurt Haller) zunehmend unruhiger mit dem Hintern hierhin und dorthin ruckelte und etwas für`s Leben und Schreiben gelernt hatte. Danach erst ging es ins Haller`sche Haus im Eislinger Sommerweg zurück, und man vesperte, wärmte sich auf und plauderte bis zum frühen Morgen über Geschichten und Abhärten.
   Kaum einmal, dass der VdZ den Kurt Haller anders als in Cordhose und schlichtem Hemd mit bis über`n Ellenbogen hochgekrempelten Ärmeln erlebte, sonnenverbrannt und kraftstrotzend. Äußerlichkeiten waren ihm nicht wichtig. Für ihn zählte, welche Schätze innen drin waren in einem Menschen: Empathie, Warmherzigkeit, Gerechtigkeitsempfinden, Disziplin … oder, zumindest, guter Wille, weil – an den perfekten, fehlerfreien Menschen glaubte er nicht. Konsequenterweise waren ihm Fanatiker insgesamt ein Gräuel; mit den heutigen allwissenden, pöbelnden und sich jeder Diskussionskultur verweigernden Mutanten hätte er also wohl seine liebe Mühe gehabt.  
   Definitiv kein einziges Mal hörte ihn der VdZ in CDU-, FDP-, GRÜNE- oder gar Rote Socken-Schablonen denkend reden, sondern stets allein die Menschen betreffend; Vermögende, die immer noch reicher und Arme, die nie wirklich vermögend werden und das in einem so reichen Land wie Deutschland. Das und was solches mit und aus Menschen macht, trieb ihn um und darüber diskutierte er mit dem weit jüngeren Freund (dem Ex-Bankkaufmann-Steuerbevollmächtigten-Bankrevisorassistenten) oft und leidenschaftlich. Ein Thema, das fünfunddreißig Jahre später und angesichts der TaxMe-Bewegung, gegründet von fünfzig deutschen Millionären, im Jahr 2021 leider noch viel aktueller ist, weil unsere Gesellschaft heutzutage nur für unverbesserlich in uralten Schubladen Denkende noch in links und rechts und nicht – wie es viel realistischer ist – in Reich und Arm zerfällt, womit sich hier Kurt Hallers mittel- und langfristiges Vorausdenken sehr eindringlich darstellt.
   Doch Diskussionen als Basis einer ungewöhnlichen Freundschaft und zunehmenden Vertrautheit miteinander hin oder her … Irgendwann einmal war ein Anfang mit Erzählen gemacht, und zwar im Beisein und immer wieder koboldhaft angeregt, um nicht zu schreiben „angestichelt“ (Erzähl` nur ruhig mal ein bisschen weiter, ich bin auch gespannt!) von ebendiesem kessen Mädchen, das ihm bei der Heimkehr aus dem Krieg Leitstern war und „ihn lange um meine Hand kämpfen ließ und ihn so a bissle auch kreativ machte.“ (O-Ton Margot Haller).
   Man merkt: Margot wäre heutzutage eine prima (und ziemlich unverkrampfte) Aktive in der Eislinger Frauenaktion efa, während der Kurt Haller mit seinen Wesenszügen eine eigene Meinung haben, die Meinung Anderer zulassen können und in Ruhe und doch intensiv miteinander reden, eventuell gar dazulernen können zweifelsohne bestens in die für den VdZ momentan noch ein bisschen geheimnisvollen Reihen der MfE gepasst hätte.
   Jedenfalls: Wer, wie der VdZ ab 1986,  Kurt und Margot Haller miteinander erleben durfte bei guter wie auch weniger guter Stimmung (in der Margot in ihrem VW Golf davon bretterte, gern bei beidseits heruntergekurbelten Fenstern, die Haare im Fahrtwind flatternd, und sich in ihr Refugium auf dem Hohenstaufener Oesel zurückzog), dem ist Kurt Haller kaum vorstellbar ohne seine Frau, die Malerin Margot.
   Beide – und jeder von ihnen auf ganz eigene Art – legten sie mit ihrer väter- beziehungsweise mütterlichen Freundschaft trotz eines Altersunterschiedes von rund dreißig Jahren im VdZ den Grundstein dafür, dass er Vieles neu und anders dachte, auch über seinen Beruf der „Schreibtisch-Eminenz“. Dies erst recht, als er sich seinerseits (und krankheitsbedingt) in kriegsähnlicher Zeit wiederfand, seinem kessen Kobold begegnete und von ihm „angestichelt“ wurde – und so schließlich der Mensch wurde, der er heute ist. Was erklärt, dass dieses Portrait sich nicht damit zufrieden geben kann und will, nur als Kurt Haller`sche Lebensleistungs-Auflistung daher zu kommen, sondern bunte Farbkleckse setzen muss und keinen Hehl macht aus eigener Meinung und freundschaftlich-kritischer Liebe und Dankbarkeit.

****

Sodele. Jetzt, da dies klargestellt ist, zurück ins Nachkriegsdeutschland.
   Nach dem Studium der Veterinärmedizin und Eröffnung einer Tierarztpraxis in Eislingen war Kurt Haller, stets gestützt und unterstützt von seiner Frau, jahrzehntelang in Eislingen und Umgebung als Doktor mit dem lieben Vieh auf Du und Du. Auch nachts und bei tiefstem Schnee ging`s raus zu den Bauern und in bitterkalte Ställe, erzählte Margot Haller (und immer schwang Bewunderung in ihrer Stimme mit, was nahelegt, dass sie sich das Koboldhafte für den lieben Kurt vorbehielt) Wenn der Ehemann nicht da war, der, wie bereits erwähnt, selten nur sich selbst zum Thema machte, hob sie seinen Fleiß und seine Liebe zur Familie hervor, und, dass er von allen „seinen“ Bauern eine sehr hohe Meinung hatte. Aber das ließ auch er selber gern und öfter wissen, wobei die knorrigen auf dem und rund um den Hohenstaufen noch einmal eine besondere Stellung in seiner Wertschätzung genossen.
   Von den ersten bescheidenen Urlaubsreisen zu zweit auf einem klapprigen Moped, mit mühsam zusammengesparten Zehnerla:h in den Taschen, war später auch die Rede; und von ärmlichen Verhältnissen – aber auch vom Lebensmotto „Der Sieg setzt sich zusammen aus einer Reihe von Niederlagen!“ – über dessen brachiale Essenz  es sich trefflich diskutieren ließ; dessen Wahrheitsgehalt sich im Laufe des Älterwerdens jedoch auch dem VdZ offenbarte und ihn, wie Margot und Kurt Haller, anhielt, niemals, unter keinen Umständen, aufzugeben. Was auch gut so ist.
   Ab der magischen Fünfzig, das Leben war abgesichert, die drei Töchter waren erwachsen, widmete Kurt Haller sich verstärkt der „Reduktion der eigenen Wohlstandswampe“, er legte Fastenwochen ein, befasste sich mit Philosophie, lernte Karate … und begann ohne Anleitung eines „Personal Coaches“, ausdauernd zu laufen und sich darin ständig zu steigern. („Die Muskeln müssen wissen, dass sie mitspielen dürfen und sollen!“) In diesen Jahren wandte er sich mit der ihm eigenen Akribie zudem noch dem Bücher- und Gedichteschreiben zu. Neben dem anstrengenden Tierarztberuf, dem Dasein als Vater dreier Töchter und hin und wieder auch als Patient ging es morgens in aller Herrgottsfrüh raus aus den Federn und ran an die Schreibmaschine. Tag für Tag ein, zwei Stunden lang entstand so der erste seiner insgesamt drei Romane um den unverwüstlichen, fleißigen und gleichwohl den schönen Frauen und Dingen des Lebens zugetanen „Schwipfinger“ Tierarzt Dr. Veith Pfeffer, der, mit Abstrichen, wohl als Alter Ego des Kurt Haller gelten kann und „dank der Flügel der Phantasie viel mehr Abenteuer mit hübschen Mädle erleben durfte, als das hart ums wirtschaftliche Überleben schuftende Original“, wie er dem VdZ mal, sich ein wenig windend, gestand.
   „HEUDUFT UND KARTOFFELFEUER“ wurde in Erstauflage veröffentlicht 1980 im Albert Müller Verlag, Rüschlikon-Zürich; die Zweitauflage kam 1982. Als handschriftliche Widmung wurde dem VdZ zugeeignet: „Leben und lieben – und dazulernen!“, was den Romaninhalt angemessen auf den Punkt bringt.
   „SOMMERWIND ÜBER DEN FELDERN“, der zweite Roman, folgte beim selben Verlag mit Erstauflage im Jahr 1982 – die Widmung lautete einmal mehr treffend: „Das Zauberwort allen Zusammenlebens heißt Vergebung“.
   Der Abschlussband der bei Publikum und Kritik erfolgreichen Trilogie, STOPPELFELDER UND HERBSTZEITLOSE, wurde 1983 veröffentlicht und damit schon ein Jahr früher als sonst, was einerseits zunehmende Schreibroutine beweist, andererseits aber auch eine gewisse Ungeduld und Vorfreude auf neue Projekte erahnen lässt. Der melancholische Titel und der Romaninhalt jedenfalls legten bereits den Kurs fest, den Kurt Haller auch darüber hinaus im Leben zu halten gedachte. In seiner persönlichen Widmung fasste er den so zusammen: „Es ist der Sinn unseres Lebens, dass wir unsere Probleme meistern – und unseren Mitmenschen bei den ihren helfen.“
   Die „Wohlstandswampe“ und der Mercedes waren lange schon weg, die gesundheitlichen Zipperlein „unter Kontrolle“, wie Kurt Haller es, für ihn so typisch ausdrückte. Das ausdauernde Laufen hatte er lange genug trainiert, und so lief er die Original-Marathonstrecke an historischer Stätte in Griechenland. Karate lehrte er mittlerweile selber, und abseits der „Touristen-Hotspots“ bereiste er die Welt. Für ein paar Monate führte er auf Hawaii sogar das Leben eines Eremiten, bis er sich ab 1986/1987, ruhelos und wissbegierig wie eh und je, einem Fernstudium der Psychologie widmete und, in Stuttgart studierend und darüber hinaus noch angeleitet von seiner Frau, zu malen begann – eins seiner Aquarelle von 1997 hängt im Wohnzimmer des VdZ und trägt den schönen Titel „Goldland“. Es zeigt eine träge, aber unaufhaltsam durch Wolken über`m Voralbland brechende leuchtende Strahlenflut. Bis heute ist dieses Aquarell, das Unaufhaltsame des erst schwefelgelben, dann immer stärker werdenden Morgenlichts, für den VdZ der Inbegriff des Kurt Haller – und mit genau dieser Energie hielt er es ab jetzt mit den lieben Mitmenschen wie nach Eröffnung seiner Tierarztpraxis mit dem lieben Vieh: In den nun folgenden Jahren hielt Kurt Haller in VHS-Seminaren vielbesuchte Vorträge zum Thema „Lebensführung und Glück“ und setzte sich darüber hinaus noch mit aller Kraft auch privat für hilfsbedürftige Menschen ein – er lebte ihnen geradezu vor, wie man trotz – oder gerade durch! -  Schicksalsschläge zu neuer Kraft gelangt.
   Und als wäre dies alles noch nicht genug, bedachte Kurt Haller irgendwann auch noch den VdZ häufiger mit kritischen Blicken, eindeutig, weil er sein eigenes, langfristig konsequent „projektiertes“ und diszipliniert (Fastenwochen!) erarbeitetes Wohlbefinden nun auch dem Jüngeren nahezubringen gedachte, der zu jener Zeit noch kläglicher Herr seiner „Wohlstandswampe“ war.
   Tja. Fortan ging es also darum, dem VdZ als einem Mitmenschen beim Meistern seiner Probleme beizustehen, namentlich den üblen Cola-, Pizza- und Vollmilschschokolade-Dämonen. Man traf sich nicht mehr, wie bisher, zu frohgemuten Diskussionen über Bücherprojekte, Schreiben, Geschichten über Gott und die Welt am malerischen Haller`schen Pool (genannt Schwimmbädle) in dem von Margot Haller geschaffenen und liebevoll gehegten Gartenparadies, sondern  direkt vor dem Haus des VdZ … Und das auch noch zu mörderisch früher Stunde, nämlich etwa gegen 8:30 Uhr; jedenfalls für einen hauptberuflichen, vorzugsweise abends und nachts arbeitenden Schreiberling.
   Kein noch so verlockend geflötetes „Willst du nicht erstmal einen frisch gebrühten Espresso?!“ erbarmte den „Ex-Wohlstandswampenträger“ Haller.
   Diszipliniert ging es stattdessen querfeldein los in lockerem Trab, der bald schon bergan führte und weniger locker anmutete, zumindest, soweit der VdZ sich noch erinnert; allzu viele Emotionen und wehleidigen Jammereien seinerseits werden wohl bis heute erfolgreich verdrängt.
   Ein Ende fand dieses Navy Seals-Training erst, als gleich zu Beginn einer Kaltstart-Jogging-Einheit (ohne vorheriges Dehnen) eine Haller`sche Wadenvene dunkelviolett anschwoll wie ein Luftballon, und der VdZ den Maestro zwang, den Notarzt aufzusuchen. Mitleidsbekundungen wehrte Kurt Haller ab. Den Zwischenfall selbst steckte er erfreulich schnell und klaglos weg und blieb in Bewegung.
   Von Margot Haller war in Erfahrung zu bringen, dass er ganz ähnlich auch Beschwerden mit der Bandscheibe kuriert hatte; nämlich indem er sich, nach Konsultation eines Orthopäden, ein paar Wochen lang in seine Badewanne zur Nachtruhe legte und es mit dem hart sein gegen sich selber ein bisschen übertrieb – was einmal mehr intensive Diskussionen über das Leben und Disziplin befeuerte. Doch alsbald nach der Phase mit der Waden-Vene und der Badewannen-Nachtruhe kam er frohgemut zusammen mit seiner Liebsten wieder zu Fuß von Eislingen nach Süßen spaziert und lud den VdZ zu „einem kleinen Abendspaziergang Richtung Schlater Wald“ ein, und lief, als wäre nie etwas gewesen. Touché.
   Mehr noch: Jetzt, da seine Frau und er, so Kurt Haller, „demnächst Rentner werden, und damit ein neues, ein zweites, Leben beginnen würden“, stimmte er sich und seine Margot und uns alle darauf ein, dass es nicht angehen konnte „unfit ins Rentenalter zu taumeln.“ Ganz bewusst wollte er das „in Angriff nehmen“; nämlich mit einem neuen Projekt, und zwar einem ganz besonderen: einer gemeinsamen Wanderreise.
   Auf Schusters Rappen sollte es auf dem Wanderweg Baden-Württemberg vom Main über den Neckar bis zum Rhein gehen. Und dazuhin entstehen sollte ein neues – diesmal gemeinsames – Buch. Das Besondere daran sollte sein: Sie, die empathische Malerin, hält bereits unterwegs alles Schöne und Spannende in ganzseitigen farbigen Acrylbildern fest, er tut dasselbe mit Worten.
   Während jedoch im Vorwort des im September 1987 tatsächlich im Wir-Verlag, Aalen, (im Format 22 x 24.5 cm als wunderschönes Hardcover) veröffentlichten Werkes „GRÜNE JUWELEN - MIT RUCKSACK UND PINSEL DURCH BADEN-WÜRTTEMBERG“ der Autor seine Frau „Hurra!“ jubilieren ließ darüber, dass sie nun Rentner geworden seien und ein neues, ein zweites, Leben begann, kam es im wirklichen Haller`schen Familienleben zu durchaus kontrovers geführten Diskussionen, während er schon Karten studierte und Pläne schmiedete und voller Begeisterung schwelgte. Margot Haller hätte es nämlich „jetzt lieber a bissle ruhiger“ angehen lassen, ohne ihre Malerin-Utensilien im Rucksack „durch die Gegend schleppen zu müssen“.
   Aber, wie es wohl oft so bei diesen beiden war: schließlich ließ auch sie sich begeistern und stimmte gutmütig zu … und los ging`s.
   Die Ausbeute konnte sich allemal sehen lassen: 25 stimmungsvolle und allesamt begeisternde typische Margot Haller-Bilder steuerte sie zu dem ersten Gemeinschaftswerk bei, und der Autor versuchte sich in einem zwar von seiner Shakespeare-Lektüre inspirierten, jedoch zweifellos seiner Stimmung angemessenen schwärmerischen Stil. Da „brütet Hitze“ und „atmen die Winde kaum“ und dergleichen mehr. Und Postkarten trafen ein, abgeschickt in Rottenburg (wo seine jüngste Tochter Susanne damals noch, direkt am Neckar, das Café Bistro betrieb) und daraufhin kamen sie fast im Zweitagestakt von kreuz und quer aus dem Ländle; mit Botschaften wie, dass der Aufstieg zum Feldberg – weil die Hüfte plagte – das „altbewährte Hausmittel Schmerzen totlaufen und verachten wieder einmal erforderte.“
   Davon ist, in einem der letzten Kapitel im Buch, auch zu lesen; und so ist und bleibt es ein typisches Haller-Buch; ein wunderschönes und informatives außerdem. Und nicht zuletzt ist es ein Zeugnis von zwei Menschen, die eben nicht ergeben und passiv, wie so viele andere Senioren, im Rentenalter in einen „Wartezustand zu Siechtum und Tod“ überwechseln, sondern mit ihrer Wanderung Aktivität und Kreativität symbolisieren: Liebe Mitmenschen, es geht auch anders, besser. Leben ist Veränderung, ist Bewegung.
   Gerade im Älterwerden sogar komme es vor allem auf Bewegung an, wurde Kurt Haller nicht müde, dem VdZ immer wieder einzuschärfen; mit nur mäßig zufriedenerem Blick, da dessen „Wohlstandswampe“ viel zu langsam, viel zu wenig an Umfang verlor.

****

Das Jahr 1988 kam und immer häufiger interessierte Kurt Haller sich nun für`s Schreiben eines Sachbuchs, in dem die Themen seines Lebens und seiner VHS-Seminare zu einem Großen, Ganzen zusammenfinden sollten. Es entstand das Manuskript zum neuen Buch „WEGE ZUM GLÜCKLICHSEIN“, das schon im Juni 1988 – wiederum mit ganzseitigen, auf Hochglanzpapier gedruckten Acrylbildern von Margot Haller illustriert – erneut im Wir-Verlag, Aalen, veröffentlicht wurde.
   Prof. Dr. Franz O. Gruber bringt in seinem Vorwort das Wesentliche auf den Punkt: „ … in diesem Buch steckt Autobiographisches aus dem Leben des Autors. Es ist erfüllt vom Wissen ums Leben (…) Um ein lebenswertes hohes Alter zu erreichen, bedarf es der Planung und des Erkennens der eigenen Kräfte (…) Dieses Buch kann zeigen, dass man mehr kann als man glaubt, dass man mehr ist, als man weiß.“
   Lesungen des Kurt Haller, unter anderem in der Eislinger Stadtbibliohek folgten. Margot Haller stellte ihre stimmungsvollen Werke in der Eislinger Alten Post aus und verkaufte ganz unerwartet viele davon. Der VdZ brachte dem älteren Freund nahe, sich mehr um seine Buchrechte zu kümmern und der Coup wurde gelandet, die Tierarzt-Trilogie um Veith Pfeffer (beim Originalverlag mittlerweile vergriffen) beim Augsburger Weltbild Verlag in Neuausgabe herauszubringen (die rasend schnell vergriffene „gelbe Ausgabe“. Man wanderte gemeinsam, man tüftelte gemeinsam an Treatments für eine TV-Serie auf Basis der Veith Pfeffer-Trilogie, man schwamm und tauchte im Freibädle hinterm Haller`schen Haus um die Wette und besprach und zerpflückte bei Erdbeeren mit Schlagsahne Projekte des jeweils anderen … und Kurt Haller, längst schon auf Computer umgestiegen, schrieb und veröffentlichte weitere Bücher: Im November 1991 legte er mit dem Husum Verlag seine erste längere Erzählung in Gestalt eines schönen, gebundenen Büchleins vor: „UND DIE FLUTEN FOLGTEN WIE IMMER DEM MOND“.
   Der Klappentext verrät schnell, etwas hat sich zwar verändert, aber der Autor hält auch als Erzähler seinen Lebenskurs: „Man blickt auf das Lebensabenteuer eines Mannes, der, in Rungholt geboren, in der Sturmnacht des Untergangs jenes Hafenortes an einen Balken geklammert aufs Meer hinausgetrieben wurde. Auf einem Sandhügel krallte er sich schließlich fest – sein Leitsatz war: Aushalten, durchhalten, und alles ertragen lernen! (…) Dramatik und Humor machen sich die Seiten streitig in dieser Erzählung und man streift mit durchs Watt, wo so wie nirgends das Lied der Schöpfung erklingt und man begleitet wird von uralten Wanderern: vom Wind, vom Sand und vom unendlichen Meer.“
   Schon im August 1992 folgt ein Herzensprojekt Kurt Hallers, verlegt vom Eugen Salzer Verlag, Heilbronn, als gebundene Ausgabe – nämlich das im Laufe eines Jahrzehnts anhand von Tonbandprotokollen, persönlichen Gesprächen und schriftlichen Aufzeichnungen entstandene umfangreiche Werk „GOTT SELBER SIEHT DA LÄCHELND ZU – AUS DEM LEBEN DES MARIO BORGOGNO“.
   Es ist das so einfühlsam wie atemberaubend spannend geschriebene Portrait des Südtirolers Mario Borgogno – Haller blieb bis zu seinem Tod mit ihm befreundet – der, obwohl Krüppel und völlig mittellos, von sich selber sagte, dass er noch nie einem Menschen begegnet sei, mit dem er hätte tauschen wollen. Dieser Mensch ist voller Warmherzigkeit und Mitgefühl für Andere; Helfen und Gutes tun ist sein einziger Lebensinhalt. Doch gibt es da noch die andere Seite in ihm: seinen sechsten Sinn, eine Gabe, die ihm schreckliche Träume beschert und ihn Unglücksfälle sehen lässt, oder wie sich das Schicksal von Menschen zum Guten wendet. Und die er nur nutzt, wenn es gilt, Mitmenschen aus Not und Bedrängnis zu helfen. Beweise dafür gibt es zahlreiche. Abgesandte der Kirche haben sich ein Urteil über diesen einfachen Mann gebildet, und weltliche Wissenschaftler ebenso. Kurt Hallers umfangreiches Buch lädt ein, sich eine eigene Meinung zu bilden über einen Menschen, den man einfach ins Herz schließen muss.
   Der VdZ hält es für Kurt Hallers außergewöhnlichstes Buch, auch wenn es in Eislingen und im Filstal bei den treuen Haller-Lesern nie so bekannt wurde.
   Nie rutscht der Autor und Freund in esoterische Schwärmerei ab. Stattdessen hält er sich an Fakten, und schreibt in einem warmherzigen und doch spannenden  Sound, wie man es von ihm noch nicht gewohnt war.
   Wo in der im Jahr davor veröffentlichten Hallig-Erzählung noch dem Lebensmotto  Aushalten, durchhalten, und alles ertragen lernen!  huldigt, macht sich in dem Mario Borgogno-Portrait eine Leichtigkeit bemerkbar, ein Entspannen, ganz wie der Portraitierte es rät, wenn er sagt: „Seid ihr nicht alle viel zu ernst? Mit solchen kann man doch im Himmel nichts anfangen, da wird ja selbst der Herrgott traurig.“

****

Und damit ist es bei einem so lebensprallen und spannenden Leben wie dem des Kurt Haller höchste Zeit, sich eines kleinen Kniffs aus der Spannungsliteratur zu bedienen und der bisherigen Chronologie ein Schnippchen zu schlagen und jenes Projekt zum spannenden Höhepunkt zu machen, das den Kurt Haller im realen Leben schon Ende der 80er Jahre zu seinem grandiosesten Reiseabenteuer trieb.

****

Ganz nebenbei nämlich waren nach Veröffentlichung der „WEGE ZUM GLÜCKLICHSEIN“ ganz neue Pläne und Planungen vorangetrieben worden, monatelange Schriftwechsel geführt, staatliche Genehmigungen und Visa und-so-weiter eingeholt worden ... diesmal für einen ganz eigenen Weg zum Glücklichsein.
   Kaum, dass alles organisatorisch Nötige vorlag, brach Kurt Haller in seinem VW Golf auch schon auf zu einer wochenlangen Russland-Reise der Versöhnung und Verständigung zwischen ehemaligen (Kriegs-)Gegnern.
   Er traf sich mit einstigen russischen Gegnern und „von Generälen von oben herab befohlenen“ Todfeinden … und begegnete MENSCHEN, wie er später überwältigt erzählte. Menschen, mit denen er redete, trank und aß und die er um Vergebung bat um das Leid, das deutsche Soldaten über sie und ihr Land gebracht hatten. Diese Vergebung bekam er, mit Umarmungen und einem Schlückchen Wodka hier und zweien da …und mehr noch – sie redeten mit ihm, erzählten ihm von ihrem Leben seit dem Krieg mit seinem Abschlachten, von ihren Kindern und Freunden – und er tat es ihnen gleich und erzählte von seinem Leben, seinem Land, und wie es sich seither entwickelt hatte, seinen schwäbischen Mitmenschen, seiner Familie und Töchtern. „Oft schwätzten wir mit Händen und Füßen, aber immer kam alles ganz verständlich bei jedem von uns an, spätestens nach einem Lachen.“ Genau so beschrieb er das, mit vor Begeisterung und Dankbarkeit funkelnden lachenden Augen.
   Spätestens ab dieser Lebensphase und mit diesem Projekt, das sehr zu recht große mediale Aufmerksamkeit erfuhr, wurde Kurt Haller endgültig – wie Reinhard Krötz es in seinem Nachruf in der NWZ am 24. März 2004 so treffend formulierte –  zu einer besonderen Eislinger Persönlichkeit.

   Und so dürfte es auf jeden Fall ganz im Sinne des Kurt Haller sein, wenn man genau hier den Schlusspunkt setzt. Einen mit direkt anschließendem dezenten Wink mit dem Zaunpfahl an alle heutigen fanatischen Hetzer und Hass-Schwätzer auf den Leserbriefseiten der NWZ und – noch viel hemmungsloser! –  in den sogenannten Sozialen Medien:
   Lernt bitte endlich begreifen, dass wir alle nur Menschen sind, die nur leben wollen.

Martin Eisele-Baresch



April, Mai, Juni 2022: Ja, gut, zugegeben, in den vergangenen Monaten ergab sich eine kleine Disbalance in der Work-Life-Balance des Verfassers dieser Zeilen (VdZ) zugunsten des Wörtchens Life …, zumindest von „außen“ gesehen. Derselbige hat das tolle Wetter dazu genutzt, Putins Schlachtereien in der Ukraine aus dem Kopf zu bekommen, eine Entzündung/Schwellung der Rotatorenmanschette auszukurieren, neue Qi Gong-Übungen zu erlernen, um die genannte Rotatorenmanschette so schnell nicht mehr so exzessiv auskurieren zu müssen (gewisse Physio-Therapiezentren taugen einfach leider nix!), in gemütlichen Cafés abzuhängen, auf einem Filmfestival mal wieder exzessiv Kino zu erleben (nein: „Top Gun: Maverick“ wurde nicht zu *meinem* Favoriten, Cronenbergs „Crimes of the Future“ trotz Viggo Mortensen und Kristen Steward auch nicht. Mir gefiel, was George „Mad Max“ Miller mit „Three Thousand Years of Longing“ mit Tilda Swinton und Idris Elba präsentierte.)

Auch nicht schlecht war, Espresso mit einer Kugel Vanilleeis zu testen, tolle Bücher zu schmökern, sich sämtliche Seasons der grandiosen „Breaking Bad“-Prequel-Serie „Better call Saul“ reinzuziehen und einfach dankbar dafür zu sein, sich so eine Auszeit überhaupt gönnen zu können. Es mit den und dank der Freunde*Inne/n und Kollege*Innen, die thrillkult *sind*, nicht (mehr) nötig zu haben, den großen „Mainstream“-Verlagen nacheifern zu müssen, oder gar einem gewissen E-Book-Verleger, der fast täglich ein neues E-Book, Paperback, Hardcover raushaut und somit nach Stationen als Fan-Autor, Musiker, Theaterschauspieler und -Regisseur und Dramatiker nun in auch schon ein wenig reiferem Alter so bemitleidenswert im Hamsterrad schuftet, wie unsereins in jungen Jahren.
   
Was sowas aus Menschen macht, hat unsereins erlebt, denn vor nunmehr auch schon wieder mehr als fünf Jahren schlossen wir hoffnungsfroh Verträge mit dem nämlichen … nur um ziemlich schnell schon ernüchtert feststellen zu dürfen, dass wir ein klitzekleines bisschen zu vertrauensselig waren und statt auf unser Bauchgefühl definitiv auf die falschen Empfehlungen noch fälscherer Freunde und Kollegen vertraut hatten. Die jenen Herrn Verleger vor allem deshalb so unglaublich supertoll fanden, weil er ihre sämtlichen alten und uralten Heftroman-Schmonzetten als E-Book, Paperback und Hardcover wieder veröffentlichte. Zugegeben, mit farbenprächtigen neuen Covern, mit u.a. Cowgirls, deren Brüste an explodierte Airbags erinnerten. Tja, damals lernten wir nochmal etwas fürs Leben, nämlich: auch Autoren oder Ex-Literaturagenten, die sich in jüngeren Jahren lautstark „links“ verorteten und rebellisch zum „Marsch durch die Verlagsinstitutionen“ aufriefen (und diesen selbst, im Windschatten eines ideenreichen älteren Co-Autors, auch mehr oder minder erfolgreich realisierten), sind in älteren Tagen, nach öffentlichem reumütigen Bekenntnis, dass es einer ihrer größten Fehler war, einen „Wolfgang Hohlbein als Agentur-Klienten abgelehnt zu haben“, halt nur Menschen wie du und ich, die im Winter ihres Autorendaseins nach einer wärmenden Angora-Unterhose in Form von noch ein paar Veröffentlichungshonoraren für längst geschriebene Texte Ausschau halten – und dafür (leider anders als du und ich) dann notfalls zugunsten gewisser Verleger eben auch gewisse „textfremde“ Dienstleistungen erbringen.
   Kann man so halten, muss man aber eigentlich nicht.
   Aber, hey, da wir nun in Zeitenwende-Zeiten leben, in denen es eh stets weniger Gewissheiten gibt, muss es wohl auch so etwas geben. Auch unter Schreiberlingen*Innen. Das Gebahren gewisser Gewerkschafter im VS – Verband der Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vor mehr als fünf Jahren jedenfalls warnte uns nachdrücklich vor und ließ uns schon Schlimmes ahnen.
   Unsereins ist momentan nur heilfroh, von sämtlichen eingangs erwähnten Verträgen schon wenige Monaten nach Vertragsschluss wieder erlöst worden zu sein.
   Von allen, bis auf einen.
   Den konnten wir, vertragstreu und geduldig, wie wir sind, erst am 16. November 2021 kündigen. Dafür aber mit Penguin Random House/Heyne schon Anfang 2022 einen nigelnagelneuen abschließen. Ganz ohne Hamsterrad. Womit für uns nach einigen üblen Erlebnissen mit deutschen Verlegern auf jeden Fall mal bewiesen ist: es gibt sie noch, die gigantisch großen, weltweit agierenden „Mainstream“-Verlage, deren Mitarbeiter*Innen einfach angenehm und fair sind. Merci dafür an dieser Stelle.


Mai 2022: Der Wonnemonat erinnert unsereins an gleich mehreres; vor allem daran, ein inbrünstiges *Danke* an die nunmehr seit einem Jahr schneller als ihr eigener Schatten (und erst recht ein gewisser „Writer“) diese Website betreuende Regine rauszuhauen: Danke! Und – einhändig, siehe oben, Stichwort „Rotatorenmanschette“ Komma entzündete, geschwollene – wenigstens ein paar Zeilen zum Thema *Work in Process* zustande zu bringen. Also: Zumindest einer des Autor-/ Illustrator-Duos LARS VOLLBRECHT / MARTIN BARESCH war kreativ tätig und hat vertrauensvoll schon mal das Cover für den unsererseits geplanten Bonus-Shot „Die Mitternachtsschule – Ein Zauberzirkus-Abenteuer“ fertiggestellt. Ein wildes Abenteuer mit genau demselben Titel sollte eigentlich schon im „Zauberzirkus“-Buch enthalten sein, wie jede*r weiß, der öfter mal hier rein liest. ;-) Nur war jenes Abenteuer damals noch ein anderes. Noch nicht so rasant, spannend, gruselig, wie der Verfasser dieser Zeilen sie haben wollte. Schaut euch Lars` Cover nur mal genau an, und ihr wisst, was der heftigst begeisterte Schreiberling meint.
   Jetzt entsteht genau die Version, die es sein soll, und, beim Teutates, ich bin schon mal so verwegen, mich geheimnisvoll zu geben und nur zu verraten, dass sich das Warten lohnt. Wir werden dieses Projekt ohne große Vorankündigung oder Tamtam via Gloryboards nur als E-Book bringen, als Danke an die Fans unseres fetten Abenteuerschmökers „DER ZAUBERZIRKUS – Phantastisch spannende Abenteuer“.


Anfang März 2022: Angesichts der Gräuel, die Putins Staatsterror-Truppen momentan in der Ukraine verüben, fällt es wohl uns allen schwer, die mentale Balance zu wahren. Eine äußerst kreative, toll aufgemachte, sorgfältig produzierte und auch noch klasse und packend geschriebene Print-Neuerscheinung kommt da also gerade recht, obwohl auch hier mal kurz ein Atomkrieg im Spiel ist. Deshalb heute mal wieder ein bisschen Kollegen-Huldigung, und zwar anlässlich Kurt Koblers Fan-Roman um G-man JERRY CARBON, der gleich zwei Ikonen des deutschen Heftromans huldigt – nämlich JERRY COTTON, dem erfolgreichsten Krimi-Helden der Welt, und … PERRY RHODAN, dem Hero der größten SF-Serie aller Zeiten. Beide (man glaubt es kaum!) agieren in diesem Roman doch tatsächlich gemeinsam:

 

   DER ATOMKRIEG, DER KEINER WURDE …

 

   ÜBER KURT KOBLERS FANROMAN „JERRY CARBON – BOMBEN, GANGSTER UND MUTANTEN: Wir gegen die Individualverformer!

 

   Im New York des Jahres 1972 suchen außerirdische Invasoren die Millionenstadt an Hudson heim. Schon bald herrschen Angst und Schrecken in den Straßenschluchten, die öffentliche Ordnung bröckelt und das FBI bittet seinen besten Mann Jerry … nein, nicht Cotton sondern Carbon, sich in seinen Jaguar zu werfen und aufzuräumen. Parallel wird die Venusbasis kontaktiert und ein gewisser Perry Rhodan ebenfalls um Hilfe gebeten. Die Dritte Macht schickt das geheime Mutantenkorps in den Einsatz …

 

   Womit all das da ist, was schon immer das Fan-Herz ein paar Takte schneller schlagen ließ.

 

   Von Anfang an begeistert, wie gut der Autor die Essenz und Trigger-Werte beider Kult-Serien in seinem Stil vereint, als hätt’ er nie was anderes gemacht. Kleinigkeiten wie diejenige, dass es im Serien-Original in der Eingangshalle des FBI-Headquarter New York meines Wissens nie einen „Haus-Kiosk“ gab, an dem JC sich seine Morgenzeitung plus schwarzem Kaffee von einem gewissen Claus-Norbert reichen lässt, der neben Zeitungen und Zeitschriften auch Romanheftchen anbietet, die er selber voller Stolz Raketenheftchen nennt, und mit seinen Trinkgeld-Erlösen für ein ganz besonderes neues Fahrrad spart (Zwinker-zwinker!), passt wirklich alles … und sowieso sind wir hier ja im Hauptquartier von Jerry CARBONs FBI.

 

   Man merkt dem Autor an, dass er Spaß an der Sache hat, als würde er sich einen lange gehegten Wunsch erfüllen. Die sorgfältig recherchierte und nie kalt  konstruiert wirkende Story beginnt, erzählt in der ersten Person lässig – aber straff genug – mit bereits geballten (und gekonnten) Anspielungen und zieht schnell an. Eine Schießerei mit der Mohlberg-Gang im Druckerei-Viertel ist da beispielsweise kurz erwähnt, und schon daran merkt die geneigte Leser*Innenschaft (zu der hoffentlich nach wie vor einer unserer liebsten Kleinverlegerfreunde Heinz M. gehört): Hier blickt einerseits jeder Cotton-Fan, der nicht zugleich auch Rhodan-Leser war/ist (und Rhodan No. 9 „Hilfe für die Erde“, veröffentlicht 1961, kennt) durch. Und andererseits ertappt sich einer wie ich, der auch „seinen“ Cotton – wie Rhodan – von den Anfängen bis heute als Fan und Autor begleitet hat, immer mal wieder dabei, dass er kurz wehmütig schmunzelnd an die  … na ja … guten alten Zeiten der Serie denken muss, als JC noch lässig kurz mal halb Manhattan im Spurt durchquerte und unfreiwillig komische Satz-Klöpse wie Ich federte aus meinem Jaguar und Phil deckte mich von hinten an der Tagesordnung waren – und dem Riesenerfolg dank eines nachkriegs-superlesegierigen Publikums doch keinen Abbruch taten.

 

   Der 22. Juli, der zu Jerry Carbons heißestem Tag werden sollte, beginnt mit dem Jaulen der Sirenen und dem Anflug chinesischer Atomraketen der „Asiatischen Föderation“ auf die USA. Die ihrerseits locker schon ihren Gegenschlag auf den Weg gebracht hatten … womit Carbon für sich das lakonisch-realistische Fazit zieht:

 

   „… aber die Vergeltung würde uns nicht retten. Tod und Vernichtung erwarteten beide Seiten, ein Kampf, der nur Verlierer und keine Gewinner haben konnte …“

 

   Aus, vorbei und Feierabend ist dann aber doch ein Trugschluss, und für Carbon und Bill Dekker geht es erst richtig los. Und genau dieses nun folgende Abenteuer sollten sich alle Cotton-Fans und auch alle Rhodan-Fans zugunsten *ihrer* Work Life Balance nicht entgehen lassen. Die Cotton-Fans schon deshalb nicht, weil es in den 1970er und 1980er-Jahren von den sogenannten fortschrittlichen SF-Autoren um den mittlerweile ins Rentnermusikerdasein geglittenen Ronnie M. Hahn schließlich gerne mal verlautete, dass Cotton-Leser eher tumb, SF-Leser hingegen allgemein die „intelligenteren Leser“ seien.

 

   Wie auch immer: Geschrieben wurde dieser auch augenzwinkernd humorvolle Crossover-Roman von Kurt Kobler, der in den letzten Jahren zwar auch einige Kurzgeschichten, Artikel, Berichte sowie Exposés für Kurzgeschichten und Romane verfasste – und, wie er mir schrieb, auch Ideen u.a. für seinen Freund, den Rhodan-Rechercheur Rainer Castor und den von ihm und wohl uns allen geschätzten Wilfried A. Hary lieferte.

 

   Vor allem aber wurde Kurt durch das zusammen mit Michael Pfrommer realisierte, bislang schon sieben Romane umfassende Fan-Projekt „DER ANDROMEDA-ZYKLUS“ bekannt – eine ideen- und kenntnisreich geschriebene SF-Saga um die Rückkehr der innerhalb der Rhodan-Serie bis heute äußerst beliebten  „MdI/Meister der Insel“ (ebenfalls im TCE veröffentlicht, Infos dazu auf der Homepage des TCE; animierte Trailer von Raimund Peter auf YourTube, Text gesprochen von Wilfried Hary).

 

   Herausgegeben wurde JERRY CARBON im schon oft dank liebevoll gemachter Fan-Publikationen äußerst positiv aufgefallenen T(erranischen)C(lub)E(den) als A-5-Softcover mit 72 im Heftroman-Layout präsentierten Seiten.

   Bestellt werden kann (und sollte!) der Roman zum Preis von 3,80 € (plus Porto) via Mail: tceorder@terranischer-club-eden.com

   Oder direkt bei: Kurt Kobler, Feuerwerkerstraße 44, 46238 Bottrop

 



Anfang Januar 2022: Wir alle, nicht nur wir, die wir schreiben, illustrieren und (Korrektur-) lesen, haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass Leben passiert, während wir Pläne schmieden.
   Bei Lars Vollbrecht und mir passierte folgendes, nachdem wir etwa im April 2021 beschlossen hatten, noch ein zweites Buch als Autor/Illustrator-Duo gemeinsam in Angriff zu nehmen, weil uns unsere erste Zusammenarbeit neben vielen nächtlichen Extra-Arbeitsstunden auch jede Menge Spaß, wohlwollende Reaktionen von Leserinnen und Lesern (nicht nur auf Amazon) und ebensolche Medienresonanz bescherte. Euch allen Danke-danke-danke! (Die Titel Eurer Arbeiten haben wir hier auf  >thrillkult in unserer Abteilung „Über Martin Baresch / Martin Eisele“ gelistet.)
   DIE MITTERNACHTSSCHULE lautete anfangs der Arbeitstitel, später DIE RAKETENBESENHEXE, und geplant war jedes Mal ein Buch mit sieben Abenteuern, weil sieben nun mal eine phantastisch-magische Zahl ist. Aber wie das manchmal so läuft, beim Schreiben: einige Geschichten schrieben sich zwar wie von selbst … ihre Heldinnen und Helden jedoch führten plötzlich auch ein äußerst verblüffendes Eigenleben und zeigten dem Herrn Autor, was eine Raketenbesenhexe ist, unter anderem. Der Buch-Umfang gedieh, und die Zeit, sie wuselte wie ein Tausendfüßler auf Speed. Andere Aufträge grätschten herbei, die ich mehr oder weniger lässig bereits als wegen Corona entschlummert geknickt hatte. Und zum geplanten Tribut-Band „60 JAHRE PERRY RHODAN“, dem gleichnamigen Tribute-Buch, das unter der Herausgeberschaft von Andy Schmid und Joachim „Joe“ Kutzner im TCE, dem bewundernswert aktiven „Club für Science Fiction & Fantasy“, erscheinen sollte, wollte ich auch mein Scherflein beitragen, weil die beiden (und der Club, der mich so nett aufgenommen hatte) mir das Wert waren – trotz des für mich knappen Ablieferungstermins 15. Juni.
   Das alles lief noch prima und in gewohnter Ruhe rund; nichts weit und breit, was man nicht mit einem Tässchen Espresso hätte auf der Schiene halten können, auch in Haarnadelkurven. Aber dann entwickelten sich im Privaten Turbulenzen, die viel Nervenstärke und Kraft forderten und auf die heldenhaftigst reagiert werden musste, und zwar, so viel darf hier ausgeplaudert werden, zuerst von mir allein, schließlich, je näher das Jahresende 2021 rückte, von Lars und von mir.
   Jedenfalls … nachdem das umfangreichste Abenteuer des Buches fertig geschrieben vorlag, entschieden wir: Unser zweites gemeinsames Buch-Baby *muss* den Titel DER ZAUBERZIRKUS tragen … weil es mit seinen nun fünf lebendig-bunten, wilden Geschichten auf knapp 190 Seiten auch ein prima Kontra darstellt zu der uns alle einnebelnden Pandemie-Tristesse und den fake news gewisser Herrschaften, die sich bei „Kerzen-Spaziergängen“ selbst erleuchten und leider vermutlich nicht einen Gedanken verschwenden an die vielen zur Zeit jämmerlich Leidenden oder Sterbenden in den Kliniken.
   Tja, und DER ZAUBERZIRKUS, so heißt es nun tatsächlich, und trotz allen Turbulenzen erblickte es nur wenige Wochen später als erhofft das Licht der Welt, nämlich Anfang Dezember 2021 … und war prompt ausgerechnet vor Weihnachten als gebundene Ausgabe dann erst mal nicht lieferbar. (Danke, Jeff, du solltest dich nicht so oft im Weltraum herumtreiben, auch wenn zufällig mal Cäpt`n Körk persönlich bei dir mitfliegt.)
   OK, es gab *noch* ein paar Herausforderungen zu meistern, aber warum darauf herumreiten: Trotz allem hatte zumindest der Verfasser dieser Zeilen auch bei dieser Zusammenarbeit Spaß; Absolut begeisternd, mitzuerleben, wie Lars Vollbrecht das umlaufende Cover zauberte, nachdem wir eher vage besprochen hatten, was un-beee-dingt drauf zu sehen sein sollte (Der Drache … die Sternenbrücke …)!
   Ach, am besten, ich zitiere mal kurz nur zwei Sätze aus unseren WhatsApps vom 29.11.2021:
   Lars, 12.02 Uhr: „Am besten, dir gefällt bitte alles, wie ich’s fürs Cover vorschlage, dann kann ich morgen kolorieren.“
   Martin, 12.12 Uhr: „Hi Lars, dann gefällt mir jetzt einfach mal schon alles.“
   Wenn wir auf der Zielgeraden oft bis in die Nacht hinein diszipliniert gearbeitet haben, am Buchsatz, Korrekturlesen, Tippfehlerausmerzen, danach nochmals am Buchsatz, Illus umplatzieren, an ersten Werbeseiten texten/gestalten und den lieben Menschen zuschicken, die „Her damit!“ signalisiert hatten (je eine halbe fürs EXODUS SF-Magazin bzw. die EXODUS-Homepage >>Buchtipps der Redsktion, und Joe Kutzner brachte im PARADISE-Magazin sogar eine ganze, auf der dritten Umschlagseite) war’s eben doch nicht nur Arbeit. Sondern, vor allem dank Lars, MAGIE. Allein für seine Idee, wie er die Raketenbesenhexe *und* den Drachen noch auf dem Cover unterbrachte, hätt` ich mich mit  Freudengeheul in die Sofaecke schmeißen können! Ein herzliches Dankeschön dafür (aber nicht nur dafür) nochmal an dieser Stelle!
   Das aberwitzige (und so gut wie überhaupt nicht erfundene) ((Zwinker!))  Katzenabenteuer um die eigenwillig umweltbewusste Raketenbesenerfinderhexe ist nun zwar sozusagen Abschluss und Höhepunkt unseres Abenteuerschmökers. Aber weil darin sogar noch einer ganz bestimmten königlichen Schmusekatze gedacht und deren Nachkommen gehuldigt wird (nein, das war kein Spoiler, nur ein Neugierigmacher für ihre erstaunlich vielen Fans), finden wir, ist auch dieses Buch eine runde Sache geworden, wie schon DER KLEINE SOHN DES UNSICHTBAREN VOLKES, den wir Anfang April 2021 auf all die Lesehungrigen und Innen ;-) losgelassen haben. Aber, bitteschön: selber schmökern, selber ein Urteil bilden. Viel Spaß!


2021



Nachtrag Dezember 2021: Tja, und damit gleich noch eine Geschichte vom Pläneschmieden und wie das Leben so (über Bande) spielt.
   Nach den Informationen, die den Verfasser dieser Zeilen (VdZ) in den letzten Wochen und geballt Richtung Weihnachten erreichten, begab es sich etwa Januar/Februar 2021 in einem kleinen, aber aktiven Club für Science Fiction und Fantasy, dass ein gewisser Andy Schmid, dem Clubredakteur Joachim „Joe“ Kutzner die Idee unterbreitete, zum im September 2021 anstehenden 60jährigen Jubiläum der ununterbrochen wöchentlich als fortlaufende Geschichte erscheinenden PERRY RHODAN-Serie, der größten Science Fiction-Serie der Welt mit inzwischen unzähligen Ablegern, ein „kleines Tribute-Fanzine“ herauszubringen – mit lauter „schönen“, mit der Serie zusammenhängenden, Erinnerungen.
   Joe gab sein OK, gewährte Zeit für die Akquise, Zusammenstellung der Beiträge und Ablieferung des Gesamtmanuskripts bis August 2021 und rechnete frohgemut ahnungslos damit, dieses Projekt dann innerhalb eines Monats in schönem Buchsatz an die Druckerei schicken und pünktlich zum Jubiläum im September 2021 veröffentlichen zu können.
   Schön gedacht. Nur, der Schmid Andy aus Fürth, der mir mittlerweile zum lieben Freund geworden ist, nutzte seinen „Freibrief“ und lieferte per USB-Stick ein eher nicht mehr ganz so kleines Projekt ab. Um es abzukürzen: Den Kutzner Joe (auch er mittlerweile ein lieber Freund) traf angesichts der Datenfülle schier der Schlag. Aber hiernach reagierte er so cool, wie der VdZ es mittlerweile von ihm kennt: Er knickte seinen Zeitplan fürs zweite Halbjahr 2021 und war fortan mit dem Buchsatz eines Mammutprojekts gut beschäftigt, das laut glaubwürdiger Aussage beider Herausgeber zum Jahresende 2021 erschienen ist – und allein die Faktenlage, zusammengestellt von Joe und Andy dokumentiert, was geleistet wurde:
   60 JAHRE PERRY RHODAN. Format: A-5, Paperback.
   Herausgegeben von Andy Schmid & Joachim „Joe“ Kutzner im TCE, Terranischer Club EdeN für Science Fiction & Fantasy, Dezember 2021.
   Titelbild: Swen Papenbrock.
   Buch-Umfang: 536 Seiten, 85 Textbeiträge, davon 46 von Mitgliedern des Rhodan-Teams (davon alle 13 des Erstauflagen-Teams, 9 vom Rhodan-Neo-Team,  12 von ehemaligen AutorInnen, Gast- und Mini-Serien-AutorInnen, darunter Tanja Kinkel, Andreas Eschbach), 5 von Angehörigen der Rhodan-Redaktion, 7 von Grafikern der Serie, 23 Beiträge aus der FanSzene Deutschland, 5 aus der FanSzene International (Frankreich, Luxemburg, Japan, USA), 8 Beiträge mit Blick „von außerhalb“ der FanSzene auf das Phänomen dieser Serie, 22 Beiträge von den Mitgliedern des TCE, Story von Andreas Eschbach, Story von Norbert Mertens, Story von Angelika Rützel, 1250 Bilder, rund 500 Fotos (alle überwiegend farbig), 140 Grafiken, 515 Titelbilder, dazu im Mittelteil 52 Buchseiten *100 Jahre Johnny Bruck-Spezial*, ohne dessen genialen Cover ein gewisser „Mathe“ wohl nie zum Leser und Fan … und damit wohl auch nicht selber zum Autor geworden wäre.
   Über das Wie und Warum und Sowieso hat der VdZ, wie an anderer Stelle schon erwähnt, pünktlich bis zum 15. Juni 2021 eine ziemlich wahre Geschichte geschrieben und an den Schmid Andy abgeliefert – und auch die kann man nun in diesem Prachtstück von einem Print-Buch nachlesen.
   Zuvor allerdings sollte man es bestellen, zum Preis von 20,21 €, rät selbst die total voreingenommene Stiftung Martin Eisele-Baresch-Test – und zwar per Mail an:  tceorder(at)terranischer-club-eden.com.

 



 

|| Happy together: Unser aktueller Lieblingsschmöker im Schaufenster unserer Lieblingsbuchhandlung Dölker, Salach ||

 

5. Oktober 2021: Deutsche Profi-Autor*Innen sind gemeinhin ein eifersüchtiges Häuflein. Kaum eine/r aus dieser Spezies weist mal auf ihrer/seiner Homepage selbstlos und total geflasht auf eine tolle Kollegin, einen tollen Kollegen und deren/dessen Neuheiten hin ... Jedenfalls durfte der Verfasser dieser Zeilen (VdZ) in den letzten Jährchen keine derartigen Erfahrungen machen, ganz im Gegenteil. Aber dazu später mal – vielleicht – ein paar "Memoiren", weil ja auch sowas zur Writer’s Work-Life-Balance gehört. Momentan allerdings lebt unsereins viel zu heftigst im Hier und Jetzt. Und, tja, auch deshalb möchten wir der eingangs kurz umrissenen Unsitte im Folgenden einfach mal die Zunge rausstrecken. In Form einer Hymne auf

 

KRIS BRYNN, die am 1. September 2021 bei Knaur ihren Science-Fiction-Noir-Thriller BORN veröffentlichen konnte. Sie hat verdammt hart dafür geschuftet (was man dem Roman nicht mehr anmerkt!), klopfte bei Verlagsstuben mit Textproben an und scheuchte verschnarchte Redakteure- und Innen auf. Auch mit Agenturen durfte sie ihre leidvollen Erfahrungen machen und sich dazuhin anhören bzw. Schwarz auf Weiß mit eigenen Augen nachlesen, dass "Science-Fiction nicht mehr geht."

 

   Trotzdem lenkte sie nicht ein. Das heißt: weder schrieb sie einen Fantasy-Arztroman ("Drama um das vorletzte verletzte Einhorn"), noch hämmerte sie einen 800 Seiten umfassenden Fantasy-Völkerroman ("Die Abkehr der Zwerge vor der Rückkehr der Drachen") in die Tasten. Nein! Kris Brynn blieb sich und "ihrem Ding" (ähm ... also: der Science-Fiction!) treu und hämmerte ihren 400seitige SF-Thriller in die Tasten. Und fand eine nicht verschnarchte Programmleiterin UND einen Verlag – den oben bereits beweihräucherten Knaur nämlich, der momentan alles, was im Bereich der phantastischen Literatur Rang und Namen hat (Kai Meyer! Markus Heitz!) einkauft.

 

   Der VdZ geht deshalb gleichermaßen lässig wie hoffnungsfroh zugunsten von Kris davon aus, dass ihre Karriere als SF-Autorin Fahrt aufnimmt und wir Büchervolk mit ihr und ihren spannenden, farbenprächtigen und vor (auch skurrilen) Ideen sprühenden (aber nie "weltfremden") SF-Abenteuern weiterhin rechnen dürfen.

 

SO. Das war das.

 

WEIL NUN ABER KEINE AUTORIN, kein Autor, einfach mal so vom Baum fällt und "es" kann – hier ein Blick auf die Anfänge:

 

In größerem Rahmen machte Kris Brynn erstmals 2019 so richtig auf sich aufmerksam. Da tauchte ihr Name – mit dem von sieben Mitbewerber*Innen – auf der Longlist „Bestes Debüt“ des SERAPH auf, dem von der Phantastischen Akademie e.V. im Rahmen und in Kooperation mit der Leipziger Buchmesse vergebenen Jurypreis, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die besten deutschsprachigen Romane des Genres zu prämieren.

 

   Kris gewann und wurde auf der Leipziger Buchmesse im März 2019 mit dem SERAPH geehrt – für ihren in jeder Hinsicht phantastischen Science-Fiction-Roman THE SHELTER - ZUKUNFT OHNE HOFFNUNG.

 

   NUN könnte man meinen – für so eine Autorin gibt's vom Verlag (Bastei-Lübbe, bzw. dessen grandiosem E-Book-Imprint) nicht nur ein paar schöne PMs und eine zeitlang Aktivitäten in den Sozialen Medien. So eine Autorin, könnte man meinen, krallen sich gleich mehrere Bastei-Talentscouts (umgangssprachlich Redakteure) rapido und bringen THE SHELTER nicht "nur" in der E-Book-Reihe und vertont heraus, sondern in einer schönen richtigen Paperbackausgabe und "tun insgesamt was", um diese Autorin als "Marke" aufzubauen.

 

   Aber – falsch gemeint. Ein Hörbuch folgte und tatsächlich auch eine Taschenbuchausgabe. Letztere aber nur als ein Print on Demand! – Der VdZ ringt heute noch undezent nach Luft über so viel Ignoranz. Die aber immerhin schön dokumentiert, wie heutzutage in den Verlagsstuben der Publikumsverlage gearbeitet und sich um Talente bemüht wird, die Phantasie und Ideen haben und sogar termingetreu und stilistisch klasse, soll heißen: packend schreiben können.

 

   AUCH AUF DIE GEFAHR hin, wie mein eigener Opa zu klingen: Früher, also zu jenen Urzeiten, da der VdZ noch gerne und heftigst für und mit engagierten Bastei-Redakteuren wie u.a. Edgar Bracht, Michael ("Mad Mike", wer kennt und liebt ihn nicht?!) Schönenbröcher, Michael Görden (intern stets gern "der kleine Intrigant" genannt) und Michael Kubiak (intern: "Der-viel-über-seine-Frau-erzählt") Bücher in die Welt setzte, hätt’s sowas bei Bastei nicht gegeben. Man denke nur an unseren geliebten Fantasy-Zausel Wolfgang E. Hohlbein (so nannte er sich einst wirklich) mit seinen mittlerweile 44 Millionen Gesamtauflage als Alleinstellungsmerkmal. Kaum hatte der mit Ueberreuther seinen ersten Preis eingesackt, bekam er a) bei Goldmann eine Fantasy-Taschenbuch-Serie (die bis heute, wie leider so viele seiner Serien, unvollendet ist) und b) bald darauf schüttelte man auch bei Bastei schon hurtig die Schlafkrümelchen aus den Augenwinkeln, befreite WEH aus den Heftroman-Fließband-Katakomben (und auch vom "Hexer", den nun freundliche Ghostwriter mit-bedienten) und ließ ihn Phantastilliarden von Büchern schreiben. Ähnlich erging`s sogar dem VdZ bei Bastei, gleich nach dem wenig überraschenden Erfolg seines bei Heyne veröffentlichten SF-Roman-Debüts "Das Arche Noah-Prinzip".

 

   KRIS BRYNN DURFTE BEI BASTEI erstmal weitere SF-Romane im E-Book schreiben – beworben werden sie als DRAN-Bleiber-Romane.

 

   Es entstand der 6-Teiler OUT OF BALANCE mit den Einzelromanen: "Kollision", "Verrat", "Zusammenbruch", "Rebellion", "Untergang" und "Überleben". Alle gehören der Reihe "Fallen Universe" an, was eigentlich auf Nachschub hoffen ließ. Der Verlagstext flötete mit berechtigter Begeisterung zur mittlerweile und viel zu schnell vorgelegten Gesamtausgabe aller sechs Teile:

 

   "EINE SPEKTAKULÄRE SF-SERIE! – Die Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Alle Versuche, den Klimawandel aufzuhalten, sind gescheitert. Intensive Sonnenstrahlung, unreines Wasser, verschmutzte Luft, Hungersnöte sind die Folge. Um diese Hungersnöte zu bekämpfen, entwickeln Biotechnologie-Unternehmen genmodifizierte Lebensmittel, auf eigens dafür gebauten Raumstationen. Es heißt, diese Nahrung soll allen zugutekommen. Klar ist aber schnell, leisten können sie sich nur die Reichen, die First Class, die am besten bezahlt.

 

   Auf allen diesen Raumstationen herrscht die sogenannte "Balance-Regel". Schon ein Mensch zu viel sprengt die Kapazitäten. Überzählige werden auf andere Stationen umgesiedelt, wenn es dort Todesfälle gegeben hat. Die Umsiedlung erfolgt rücksichtslos. Notfalls auch ohne Familienangehörige. Doch im Untergrund regt sich Widerstand gegen das menschenverachtende Regime ...“

 

   BASTEI TEILTE KRIS IRGENDWANN GENERÖS MIT, sie könne weiter Space-Opera-Romane für das E-Label schreiben, wenn sie wolle. Im Print gäbe es keine Chancen mehr für ihr neues SF-Thriller-Manuskript.

 

   UND SO BEGAB ES SICH; dass Kris den 400-Seiten-Wälzer BORN fertigschrieb und ihn bei Knaur unterbrachte. Als richtiges Buch. Und E-Book. Und Hörbuch. Und die begnadeten Werbetexter*Innen bei Knaur schreiben in der Vorankündigung völlig zu Recht von einem am 01. September 2021 in den Buchhandlungen und bei Amazon aufschlagenden Lese-Highlight. "Düster, hochspannend – und beklemmend realistisch." Schließlich hat Europa den Krieg um die wesentlichen Ressourcen verloren ... Der Große Sandkrieg hat Deutschland unbewohnbar gemacht ... Die KI Fergus bildet sich kulturell weiter, vor allem in den Bereichen Film und Musik. Bei ersteren bevorzugt er den Film Noir, Bogart & Co, doch sein absoluter Liebling ist James Cagney mit seiner Vielseitigkeit als Tänzer, Gangster, Boxer, Liebhaber. Der wird künftig sein Tun inspirieren. Das ist doch mal was! Ein dystopischer Noir-Thriller, mit der richtigen Dosis Action, spritzigen Dialogen und "viel Atmosphäre".

 

OK. MUSS DER VdZ NOCH DEUTLICHER WERDEN? Echt jetzt?! Buchhandlung stürmen. Kaufen. Lesen.

 

 


Hier seht ihr zweimal den legendären PERRY RHODAN-KOPF. Der Original-Rhodan-Kopf rechts unterscheidet sich von dem links durch 11 Kleinigkeiten.

Wer findet und benennt sie? Mails – aber bitte keine Spam – an die >thrillkult-Redaktion.

Unter den 3 originellsten Einsender*Innen verlosen wir je eine gebundene und von Lars Vollbrecht & Martin Baresch signierte Ausgabe ihres demnächst erscheinenden phantastisch-spannenden Schmökers DIE RAKETENBESENHEXE UND ANDERE ENTDECKERGESCHICHTEN!

 


3. September 2021:
 
Nachfolgend der zweite und letzte Teil meiner Antwort auf die Frage, mit der jede Autorin, jeder Autor früher oder später konfrontiert wird:
 
WIE WIRD MAN SCHRIFTSTELLER?
 
Kurz geantwortet: Wenn man schon in jungen Jahren mit seltsamen aber wunderbaren Freunden unterwegs ist und dafür das Kirchenblättle-Austragen sausen lässt, dann ist das auf jeden Fall eine gute Basis.
   Tja. Aber, ernsthaft jetzt, zumindest im Fall des Verfassers dieser Zeilen (VdZ) kam auch echt einiges zusammen: Die richtigen Freunde (die bis heute die richtigen Freunde sind), ein irrer Tag mit einem eigentümlichen Abenteuer (ähem) und ... PERRY RHODAN, dessen Weltraum-Abenteuer seit dem 8. September 1961 in ununterbrochener Folge Woche für Woche erscheinen.
Aber, lest selber: (sinnvollerweise ab dem 1. Teil, den man nach ein bisschen nach unten scrollen locker findet)
 
SALUT, MEIN LIEBER RHODAN
Auf Deine ersten sechzig Realwelt-Jährchen als Unsterblicher!
 
Teil II
 
Weiterhin für Klaus N. Frick & Uwe Anton - warum, ergibt sich bei Lektüre :-)
 
Im Gedenken an Willi Voltz, Hanns Kneifel, Walter Ernsting & K.H. Scheer

                                                                                                                      ****

Die Treffen in den Schatten der nach Rost und Öl duftenden Army-Hubschrauber-Hangars mit den Amis jedoch  – manche so jung wie unsere Vier, manche älter als selbst Friede – hatten immer etwas von geheimbündlerischen Events an sich; und nach ihrer damaligen einhelligen Meinung  waren sie die allergrößte Belohnung und  total krass außergewöhnlich.

   Schon klar: Gleichaltrige heutzutage hätten nur ein Wort für sie: Opfer (Falls das noch hip genug ist, heutzutage).

   Sei’s drum, mein lieber Rhodan, für unsere vier Helden gab es nach dem Marsch durch die Todeszone regelmäßig unglaubliche Comic-Schätze wie VAMPIRELLA aus dem Verlag Warren zu entdecken und in nervenzerfetzenden Tauschhandelsaktionen zu ergattern – zerfledderte schwarz-weiße Kostbarkeiten. Und  englische/amerikanische Penthouse-Ausgaben, Batman-, Spiderman- und Archies-Comics. Ab und zu sogar, wie Altpapier gebündelt, noch Schlimmeres als die deutschen ST. PAULI-NACHRICHTEN.

   Damals ging Mathe so langsam auf, dass die amerikanischen Freunde jenseits des großen Wassers zwar drei Milliarden verschiedene Kirchen, Glaubensrichtungen und sogar Fernsehprediger hatten. Dass in den USA aber auch härteste Pornografie produziert und in Umlauf gebracht wurde. Dass es dort also insgesamt ziemlich bigott zuging (und nur der gute Jugo-Yannis assoziierte das mit: „Sex mit Männlein und Weiblein, oder?!“)

   Laut einhelliger Meinung so ziemlich aller Eislinger Eltern kamen Jugendliche auf dem Flugplatz im Fall der Fälle also mit echt jugendverderbendem, üblen Zeug in Kontakt und wären vermutlich in Schreikrampf-Veitstänzen abgegangen, hätten sie auch nur den blassesten Schimmer von der Existenz gewisser geheimer Pfaden durch die Todeszone und-so-weiter gehabt.

   Hatten sie aber nicht.

   Und so konnten die Army-Freunde unseren Helden all ihre Schätze zur wohlwollenden Begutachtung anliefern, und die Vier lieferten ihrerseits an und ertrugen die Lachsalven über „Ware“ wie Fix & Foxi  und St. Pauli-Nachrichten mit zusammengebissenen Zähnen und viel Humor, was ihnen einigen Respekt einbrachte von den echt harten Kerlen, die auf ihrem Schießstand im Wald sogar mit richtigen Waffen und Kugeln herumballern mussten, weil Befehl halt Befehl war.

   Abend für Abend blies einer von ihnen auf der Trompete Il Silenzio und jeder in Eislingen, der das hörte, war gerührt, so schön sehnsuchtsvoll wehte diese Melodie bei Sonne, Wind, Regen, Schneetreiben vom Flugplatz her durch den Abend. Yannis` Familie hörte es, und Gios und die von Mathe auch. Sein Vater, der eh im NCO-Club der Amis auf dem Galgenberg Live-Jazz spielte, zum Teil mit Ami-Trompetern, legte danach zuhause immer die Jazz-Platten auf, die ihm geschenkt worden waren und paffte Ami-Zigarren).

   Und überhaupt: MUSIK!

   Diese MUSIK, mit der unsere Helden neben dem echt jugendverderbenden, üblen Zeug dort oben in Kontakt kamen … Sie veranlasste sie endgültig, sich bei deutschen Hits a la „Ich will nen Cowboy zum Mann!“ mindestens so schlapp zu lachen wie sich alle ihre Army-Ami-Freunde schlapp lachten über …

   Hansrudi Wäscher-Comics!

   Insbesondere einer  lachte sich regelmäßig besonders laut schlapp … Seth, Spitzname Alpha Charlie.

   Auch für ihn sollte dieser heutige Tag ein alles entscheidender werden.
 

3. Galactic hero Franz saves the day:  Mech hatte, praktisch wie immer, sicherheitshalber für Gio, Mathe und Jugo-Yannis Plastiktüten voller Tauschware durch die Todeszone mitgeschleppt an jenem alles entscheidenden Tag.

   „Hey, Man – no Fix and Foxi today! Drei Mal kurz gelacht-Magazine, Fledermaus-Krimis, KX und Cottons … AND, listen! Landser-Novels with brutal NAZI-KILLER-Germans-Stories from World War II, stolen from some old REAL Nazi-Germans until today … und ein paar Dutzend Rhodans … and Silber-Grusel-Krimis from German Horror-King Dan Shocker!“, hört der VdZ ihn heute noch flüsternd (die MP!) und marktschreierisch zugleich aufzählen, als er die Ware der Vier erst mit grandioser Geste anstarren ließ und dann auf den ölfleckigen Betonboden im Schatten des Hangars hinblätterte wie Aktien (damals natürlich nur fast so wertvoll wie Auto-Quartette). Die Anderen hockten im Schneidersitz lässig-andächtig-erwartungsfroh um ihn herum und lauerten darauf, das Material ihres Tauschpartners Alpha Charlie präsentiert zu bekommen, der  ihnen momentan noch eine Solo-Audienz gewährte. Sein Dad war Pilot, also war dies hier sozusagen seine gute Stube.

   Solange die MP nicht aufkreuzte.

   „Fuck, what?!“, hört der VdZ den – übrigens  pechschwarzen – Freund  und Tauschpartner unserer vier Helden heute noch herausplatzen. „RHODAN …? Medicine? Ihr habt letzte Woche sowas von krrrasss gerochen. Holy Shit? Ihr seid viel zu jung für such suckin’ …  Dreckszeug!“

   „NO! Not Joints! Last week, that was … Weih-smoke. Understand? HOLY church, you know? Look lieber – please – at … äh …this! Heftroman- … äh … Pulp-Adventures of an Space-Hero from Germany … with such, such great Covers!”

   Mech war damals schon lässig mehrsprachig unterwegs, was ihm in späteren Jahren als weltreisender Spezialist für Windkraftanlagen erst Recht sehr zugute kommen sollte. Von wegen also: Förster und allein in und mit der Natur leben.

   Es dauerte trotzdem den Rest dieses sonnendurchglühten Nachmittags, bis man Alpha Charlie das mit PERRY RHODAN verklickert hatte. Dass „der Perry“  Erbe einer „galaktischen Großmacht“ … der Arkoniden … ist. Und ein Astronaut, der von zwei Forschungsreisenden jener Arkoniden, nämlich einer gewissen Thora und einem gewissen Crest,  nach einer Notlandung auf dem Mond mehr oder weniger in letzter Sekunde gerettet wurde … Und der sich danach – mit seinen Freunden vom Mond zurückkehrend – nö, wie die alle zurückkommen auf die Erde, das wird nicht verraten, Alpha, never ever! – Wie der sich also aufmachte, die Menschheit, die kurz vor der atomaren Selbstvernichtung stand, zu einen und diese geeinte Menschheit als Terraner zu den Sternen zu führen … und in Trilliarden Wahnsinns-Abenteuer!

   Keiner unserer vier Helden hatte bis zu diesem Tag je einen Rhodan-Roman komplett gelesen, aber alle kannten sie den Serien-Untertitel DER ERBE DES UNIVERSUMS aus den begeisterten Erzählungen von Franz.

   Der organisierte in  der Klasse über ihnen und bald darauf, sitzengeblieben, in ihrer Klasse Tipp-Kick-Schulweltmeisterschaften. Selbst outete er sich zwar nie als FAN dieser „großen Weltraum-Serie“, führte aber zufällig immer Rhodan-Hefte bei sich. Und las die sogar. Und bekam sodann nix mehr mit von Realwelt und Lehrern und/oder allem und allen anderen. Er galt allgemein zwar als Sonderling – war das aber auch. Aber einer, der klassenübergreifend bei allen wegen seiner Gutmütigkeit und seines Humors beliebt war. Sogar bei den Lehrern, die er meist nicht wahrnahm. Dieser dem VdZ bis heute liebe Schulfreund schilderte Rhodan und seine und seiner treuen Gefährten Abenteuer unseren vier Helden stets ziemlich werkgetreu. Anfangs übernahmen sie das an jenem Schicksalstag noch in gutem Glauben.

   Die phänomenalen Titelbilder  hatten sie ja eh vor Augen.

   Rhodan war gleich Weltraum und Abenteuer und erinnerte somit eh irgendwie an Nick, den Weltraumfahrer und Xutl und Prof Rasnick. Bald schon an jenem Tag jedoch übernahmen unsere vier Helden die – ähm – faktenbasierten phantastischen Schilderungen der Rhodan`schen Abenteuer ihres Informanten Franz nicht mehr nur … nein!

   Sie übertrieben alles kolossal schon mit der Gründung der Dritten Macht unter dem Energie-Schutzschirm in der Wüste Gobi – vor allem, weil sie Alpha Charlie seine Höhnerei (plus wieherndem Gelächter)  bezüglich ihrer Wäscher-Piccolos zurückzahlen wollten.

   Jungs-Quark halt.

   Dazu gehörte, natürlich, dass Alpha zurückschlug und mit seinem VAMPIRELLA-Wissen aufzutrumpfen versuchte.

   „Pah. Ihr Milchbrötchen und dann auf den Mond, mit einem Milchbrötchen-Ami, der Rhodan heißt … das soll ein Ami-Name sein?! Holy Shit! – Unsere Vampirella stammt von einem Planeten weit outside …, von Drakulon, unter den Zwillingssonnen Satyr und Circe … da gibt es Flüsse aus BLUT, und bei Eruptionen Satyrs wird jedesmal die ganze Bevölkerung Drakulons ausgelöscht und danach entstehen NEUE SPEZIES. Die Vampiri, Vampirellas Volk, können sich nach Belieben in Fledermäuse verwandeln und sich Flügel wachsen lassen! And they … sie ernähren sich auch von Blut …“

   Und dann folgte die ganze Geschichte, die sie schon gefühlt eine Million Mal liebend gerne über sich hatten ergehen lassen, begleitend zum gewissenhaften Studium der genialen Vampirella-Titelbilder: Wie nach einer weiteren Sonnen-Eruption die letzten Vampiri dahinsiechen, wie ein Raumschiff von der Erde auf Drakulon abstürzt und Vampirella an der Absturzstelle angegriffen wird und sich ein bisschen notwehrt und entdeckt, dass lecker Blut auch in den schiffbrüchigen irdischen Angreifern zu finden ist.

   „Yeaaah, Man“, hört der VdZ einen gewisssen Mech noch betont gelangweilt von sich geben, „und dann will sie das Überleben ihres Volkes sichern und fliegt zur Erde …“

   „… und dort“, übernimmt Jugo-Yannis und wagt es sogar zu gähnen, „ gehen ihre Abenteuer dann so richtig ab, weil sie eine gute Vampirella ist und ihre Kräfte nutzt, um die irdischen bösen Vampire zu bekämpfen. In einem sehr geilen Outfit, übrigens … ich glaube, sowas will ich später auch mal malen können, wenn ich im Wald lebe.“

   „ … am besten gezeichnet, weil anatomisch korrekt, wird sie eh von Frank Frazetta, der sowieso der größte ist!“ Gio, schon klar.

   „Und erfunden hat Forrest J. Ackerman sie, auch bekannt als Mr. Science Fiction, weil er Riesen-Auswirkungen auf das SF-Fandom hatte …“ Mech, Mr. Praktiker.

   „… und der Forry wieder war mit Ray Bradbury befreundet“, höre ich Mathe auftrumpfen – sogar ein bisschen lauter. „Und mit Rolf und Heinz Bingenheimer … TRANSGALAXIS, from Germany! Where a fucking Fandom exists, too. Thanks Rhodan-Author Clark Darlton …, Creator of SFCD … what means Science Fiction Club Deutschland!”

   Danach mussten unsere vier Ex-KIRCHENBLÄTTLE-Lieferanten Alpha Charlie nur noch klarmachen, dass Vampirella zwar supergeil gezeichnet war, aber – sorry, Man! – immer dieselben Kämpfe kämpfte.

   Das musste er einsehen. Tat er erstmal nicht, aber immerhin war er bereit, weiter zuzuhören. Und Gio, Yannis, Mathe, Mech gaben Stoff und lieferten und zitierten ihren Tipp-Kick-Schulweltmeisterschaften-Organisator Franz und fabulierten außerdem, bis die Augen ihres amerikanischen Freundes funkelten und er aufsprang, stapelweise Rhodan-Hefte an sich raffte und sich deren Titelbilder genauer ansah und zum ersten Mal „Incredible!“ murmelte – ein Wort, das Mathe dank The incredible SpiderMan längst in seinen englischen Grundwortschatz aufgenommen hatte. Von wegen – verderbliche Schundliteratur!

   Aber noch waren die Vier nicht fertig. Mit Alpha Charlie nicht. Und mit Erzählen sowieso nicht.

   Die Etablierung der Dritten Macht mit ihrer dank arkonidischer Technik und Robotern aus dem Boden gestampften Hauptstadt Terrania in der Wüste Gobi musste unbedingt noch in einer noch viel dramatischeren Version an den Mann gebracht werden.

   Rhodan als Weltfeind Nummer eins.

   Die ersten Erkundungen der näheren Weltraum-Umgebung der Erde mit einem Beiboot des Arkoniden-Raumers zur Wega.

   Das vor Ewigkeiten ausgelegte galaktische Rätsel. Wie Rhodan die ersten Aufgaben löst und zum Kunstplaneten Wanderer gelangt und dessen Erbauer*In begegnet, dem Kollektivwesen ES – einer Superintelligenz  mit ganz speziellem skurrilem Humor.

   Wie Rhodan in Band 19 zusammen mit einigen Gefährten die relative Unsterblichkeit gewährt wird …

   „Zell-Aktivatoren?! In EIFORM?!“, hört der VdZ heute noch Alpha Charlies ungläubige Stimme. „OK … Peace!  Wie viele Romane gibt es?“

   „Scusi! Jede Woche gibt’s einen neuen!“ Gio. Zeige-, Mittelfinger und Daumen in typischer Italiano-Geste pyramidös beieinander, die dunklen Augen funkelnd.

   „Fuck! WHAT?!“

   „Seit dem 8. September 1961. Seit Unternehmen STARDUST, written by German Author K.H. Scheer“, hört und sieht der VdZ Mathe sagen, mit irgendwie fiebriger Stimme, obwohl er nicht am Rechenschieber zugange ist. Und Alpha Charlie sieht der VdZ heute noch nachrechnen … und begreifen – rasend schnell, wie es bis heute seine Art ist. Obwohl er dann doch erst Jurist wurde, bevor er auch noch Literaturwissenschaftler wurde.

   „WOW – German Grrründlickkeit!“, hört der VdZ ihn ausrufen, und jetzt war das endgültig kein Jungs-Quark mehr. Von ihm nicht. Von den KIRCHENBLÄTTLE-Jungs nicht.

   Irgendetwas war passiert, mit ihnen allen und ihrer Begeisterung. Und dank ihrer Geschichten von und mit und um Perry Rhodan.

   „Wer von euch hilft mir beim Übersetzen und Lesen? Ich biete zehn PENTHOUSE pro Monat.“

   Aber, wie gesagt, es war kein Jungs-Quark mehr.

   Alle winkten sie lässig ab. Alle versprachen sie, ihm beim Übersetzen und Schmökern zur Seite zu stehen, und danach erst sprang Alpha Charlie auf und holte seine Kumpels. Ein paar hatten ihre Ghettoblaster dabei (mit „Pretties for you“ von Alice Cooper in Heavy Rotation) und zufällig ihre echten KNARREN nach dem Schießtraining vorschriftswidrig nicht abgeliefert. Ziemlich übermütig ballerten sie auf jedes Schild, das bei drei nicht auf einem Baum war.

   Was unseren vier Helden die Eiseskälte in die Hosen zauberte, denn, wie schon beschrieben, mein lieber Rhodan – in jenen Tagen vor mehr als einem halben Jahrhundert patrouillierten noch die beinharten Jungs der MP in ihren Jeeps entlang der Hubschrauber-Landefelder Süd-Ost, die den Eingeborenen so endlos gigantisch vorkamen wie ein Raumhafen in Terrania.

   Schon klar. Natürlich hörten die beinharten Typen der MP die Schüsse.


                                                                                                                     ****

Das ahnten unsere vier Helden durchaus – jedenfalls, wenn der VdZ sich nach mehr als einem halben Jahrhundert noch richtig an die flackernden Blicke erinnert, die Mech, Gio, Jugo-Yannis und Mathe damals wechselten. Zugegeben hätte es keiner von ihnen. Außerdem: irgendwie waren auch sie weiterhin ihrerseits mitgerissen und … gebannt.

   So nahm endgültig alles seinen Lauf:

   Die Waffen-Freaks drängen auch sie, ein bisschen auf „Russen“ (gleich harmlose Schilder) Richtung endloser Startbahn, aber bloß nicht Richtung Tower zu ballern und freuten sich wie sie tierisch über jedes „KLOINK!“, weil das in der einbrechenden Dämmerung zuverlässig genug Treffer! verkündete.

   Und während zumindest ein gewisser Mathe davon ausging, seine sämtlichen Trommelfelle seien zerfetzt und zumindest sein rechtes Handgelenk dank des Rückschlags gebrochen (in Eastwood-Filmen sieht das immer so lässig schmerzfrei aus), bestaunten die amerikanischen Army-Ballermänner die Cover der Tauschmaterial-Rhodans from Whiskey-Fan Johnny Bruck und hörten Alpha Charlie zu, wie der querbeet PROTZTE mit dem, was er in den vergangenen Stunden gelernt hatte vom Erben des Universums. Von einer in Frieden – und trotzdem spannend – geeinten Menschheit. Von einem Doppelkopfmutanten namens Iwan Iwanowitsch Goratschin und dem „normalen“ – übrigens dunkelhäutigen – Mutanten Ras Tschubai und den Para-Sprintern und-und-und … wie Atlantis in diese Weltraum-Saga eingefügt war und der arkonidische Kristallprinz Atlan, der schließlich, man hätt’s erstmal nicht mehr geglaubt!, spektakulär Perry Rhodans Freund wurde. Von kosmischen Abgründen erfuhren sie, und von Transmitterstraßen und den Meistern der Insel … und wie die Invasion des extraterrestrischen Konzils der Sieben die Terraner zu einer wahnwitzigen Aktion veranlasst, nämlich coolerweise die Erde selbst zu einem RAUMSCHIFF zu machen und mit ihr aus der heimatlichen Galaxis zu flüchten…

   An jenem Tag hätten unsere vier Helden Deals ohne Ende unter Dach und Fach bringen können. Aber Fuck! Deals waren irgendwie nicht mehr wichtig.

   Das merkten sie allerdings erst, als sich vom Kontroll-Tower aus balkendicke Scheinwerferstrahlen auf sie richteten, und sie alle von mindestens einem Dutzend Befehle und Warnungen brüllender riesenhafter MPs Gesicht voran auf den Boden geworfen, nach Waffen durchsucht und festgenommen wurden.
 

4. Kosmokraten: Wie unsere vier Ex-KIRCHENBLÄTTLE-Austräger an diesem Abend nach Hause kamen? Ganz einfach: dramatisch in Handschellen und auf zwei Jeeps der MP verteilt, in Anwesenheit von je zwei grinsenden MPs, auf dass sich die Kunde in Windeseile verteile unter den Eingeborenen Eislingens.

   Was sie tat. Oh ja.

   Was den eingeborenen Mädchen sehr gefiel, im Vergleich zu deren Eltern und Söhnen sogar überproportional; stell dir kurz die Ankunft der Beatles Jahre später in Amerika vor, mein lieber Rhodan, dann hast du (fast) einen Eindruck von der Zeit der Vier nach „dieser Sache“. Aber, ok, das war am Abend jenes Tages noch wilde Zukunftsmusik.

   Eisenharte Realwelt-Realität war jedoch: Einer der MPs, der Jugo-Yannis und Mathe nach Hause fuhr, hatte Mechs Stapel Rhodan-Hefte auf dem Schoß und erzählte ihnen, die seien jetzt natürlich beschlagnahmt . Genau wie die „sittenwidrigen, jugendverderbenden Hochglanzmagazine, die aus Göppingen und Eislingen ständig in die Cooke-Barracks eingeschleust werden und die Hormone unserer guten amerikanischen Jungs ein bisschen durcheinanderbringen.“

   Dann legte er ein Kunstpäuschen ein, schob sich einen Kaugummi in den Mund und rückte in allerbestem Deutsch noch damit raus, dass „strafmildernd  für alle dieser RHODAN“ gewertet werde, den er übrigens seit Ende 1961 schon lese – und mit dem er auch Deutsch gelernt habe.

   Überhaupt nicht wie Helden, sondern wie Alien-Gürkchen wurden die zerknirschten Vier zuhause ihren Eltern überantwortet. Da Yannis` und Mathes MP-Bewacher Mathes Vater aus dem NCO-Club kannten, ging das Ganze nicht nur für die beiden, sondern auch für Gio, Mech, Alpha Charlie und überhaupt alle Army-Ballermänner mehr als glimpflich aus.

   Aber das ist ja nicht mehr wichtig. Wichtig ist, dass keiner von unseren vier Helden Jugo-Yannis legendären Satz von jenem Abend vergessen hat – bis heute nicht: „Eigentlich gibt`s jetzt nur eins: wir müssen Sado-Betschwester auf ewig dankbar sein, weil wir ihretwegen heute dieses KIRCHENBLÄTTLE nicht ausgetragen haben. Und sowas magisch KOSMISCHES erleben durften.“

   Und das waren sie.

   Am nächsten Tag schon lieferten sie Sado-Betschwester ihr KIRCHENBLÄTTLE exklusiv, zusammen mit einem Tulpenstrauß, den Gios Mutter organisiert hatte.

   „Ich hab schon gehört, was ihr vier Helden euch geleistet habt!“, fauchte Sado-Betschwester gleich zur Begrüßung (wie gesagt: sie konnte nicht anders). Dass sie die Tulpen trotzdem ohne die gestrenge Miene zu verziehen an sich nahm und danach erst ohne weiteren Kommentar ihre Haustür dicht vor vier Nasenspitzen zuschlug, war völlig ok, fanden die vier Helden.


Epilog 1:

Am 8. März 1991 endete die Geschichte der Cooke-Barracks. Der damalige Göppinger Oberbürgermeister Hans Haller verabschiedete die amerikanischen Soldaten offiziell. Gio, Mech und Mathe hatten sich davor schon von Alpha Charlie und all ihren anderen Army-Freunden verabschiedet, am 8. März erledigten sie das allen Amis gegenüber inoffiziell aus der Ferne, von den Weinbergen aus.

   Am 27. Februar 1992 übergab der letzte Kommandeur Jon Goodman (nicht zu verwechseln mit dem genialen John Goodman aus „The Big Lebowski“) das Gelände Cooke-Barracks an das Bundesvermögensamt. Bis 1996 gelang es der Wohnbaugesellschaft Göppingen, das komplette Arreal zu kaufen. Aus dem Flugplatz wurde „der Stauferpark“. Die einstigen Offiziersvillen gingen in den Besitz wohlhabender Menschen über und wurden renoviert und modernisiert. Industrie wurde angesiedelt.

   DER Hangar unserer vier Helden wird heute Werfthalle genannt.

   In normalen Zeiten wird sie als Event-Location genutzt. In Zeiten der Pandemie mutierte sie zu einem Kreis-Impfzentrum. Comic-Tauschhandel wurde dort nie wieder betrieben. Schon gar kein aberwitzig magisch Kosmischer.


                                                                                                                      ****

Damit, mein lieber Rhodan, schließt sich unser kleiner Trip zurück in eine andere Zeit und Welt. Die MP-Typen-harte Realwelt-Wirklichkeit meines Jahres 2021 hat uns wieder; und dein 60-Jahre-Jubiläum am 8. September steht uns in wenigen Tagen bevor. Aber – was sind für einen Unsterblichen schon Tage?

   Dass keiner von unseren vier Helden nach diesem sonnendurchglühten und adrenalintreibenden Tag noch war wie davor, habe ich ein paarmal mehr oder weniger behutsam erwähnt. Im Detail bedeutet das:

   Gio wurde kein Frauenarzt, sondern „nur“ Arzt, womit seine ganzen jugendlichen Studien der weiblichen Anatomie also für die Katz waren, wie er bis heute gerne scherzt. Jahrzehntelang arbeitete er für Ärzte ohne Grenzen, allzu oft auf Lampedusa im Mittelmeer – was ihn, besonders in den letzten Jahren, auch allzu oft an der „Festung Europa“ und der Intelligenz zahlreicher Politiker*Innen der EU verzweifeln ließ.

   Mech und seine Reisen um die Welt in Sachen Windkraft habe ich schon erwähnt. Dass er darüber sein Leben in und mit der Natur nie hatte leben können, bejammerte er kein einziges Mal, zumindest nicht im Beisein des VdZ. Als ich ihn kürzlich mal darauf ansprach, verpasste er mir eine vorerst letzte Kostprobe seines praktischen Denkens: „Förster sind wichtig, gerade heute, wo es neben dem Handling der Pandemie um die Neuorganisation unserer Wälder geht. Aber … ohne Klimaschutz … wo landet da die Natur und unsere Erde und alles? Na?“

   Tja. Wo? Wir wissen es alle.


Epilog 2:

Mathe driftete, wie auch seine drei Helden-Freunde, natürlich ins Rhodan-Fandom ab und blamierte sich in der Buchhandlung Schwahn und Holl (damals der einzigen in Eislingen) mit einer Nachbestellung aller Rhodan-Romane ab Nummer 1 – die er in Erstauflage, Drittausgabe und-so-weiter plus dem Tipp bekam, darüber nicht zu vergessen, auch mal Anderes zu lesen.

   Was er bis heute begeistert befolgt. Über die „Perry Rhodan-Clubnachrichten“ (die damals noch, auf stabilem Hochglanzpapier gedruckt, allen Rhodan-Clubs von Günther M. Schelwokat zugeschickt wurden, so auch dem PRC Androtest-II eines gewissen Mathe) kam er nicht nur deutschlandweit mit PR- und Science Fiction-Fans in Kontakt und lernte mit den Jungs aus der Nachbarstadt Salach, die dort den SF-Club Galaxy 3000 betrieben und sogar ein eigenes (!) Fanzine herausgaben, auch ganz normale Rhodan- UND Science Fiction-Fans kennen. Mit vielen, wie zum Beispiel dem mittlerweile mit Preisen überhäuften EXODUS-Herausgeber René Moreau, ist er bis heute befreundet. Die Salacher Fans gaben das Galaxy Magazine (!) heraus. Anders als das amerikanische Kult-Magazin zwar nur im damals hochmodernen Spiritus Umdruck  und mit Auflage 70, aber … hey, mein lieber Rhodan: Mathe, das unreife Alien-Gürkchen, durfte mitmachen. Mit Grausen erlebte er die spektakulär-apokalyptischen Auseinandersetzungen zwischen von sich selbst als „fortschrittlich“ wahrgenommenen Fans und denen rings um Clark Darlton um die Meinungshoheit im SFCD mit, segelte eine Weile durch die alternative Literaturszene (rund um das heute sehr zu Recht legendäre „Literarische Infozentrum“ des Josef Wintjes) und eins kam zum anderen, wie an jenem Tag, an dem unsere vier Helden im Schatten eines ganz bestimmten Hubschrauber-Hangars sowas magisch KOSMISCHES erleben durften. Das wilde Drauflosfabulieren hatte nämlich in ihm etwas geweckt, das auch bis heute anhält: die Lust, immer weiter Draufloszufabulieren.

   Irgendwann setzte er sich nicht mehr an eine weitere Fan-Story, sondern schrieb einen Artikel u.a. über die Cooke-Barracks und einen mit dem dramatischen Titel "Ist Weihnachten noch zeitgemäß" (veröffentlicht unter einer riesigen Bier-Werbung) für die Eislinger Zeitung (gab’s damals noch als richtige Zeitung!) und bekam sogar je 3,72 DM Honorar dafür. Danach gierte er nach höheren Weihen, schmachtete, angefeuert von Jugo-Yannis, in knapp dreißig Minuten eine Mini-Dramödie mit dem Titel „Meine kleinen Heinzelmännchen“ in die Reiseschreibmaschine. Dieselbe schickte er in einer total heldenhaften Anwandlung unter dem Namen seiner Mutter an FRAU – DIE AKTUELLE ILLUSTRIERTE. Das Werk wurde angenommen, als „Leserbeitrag der Woche“ in Nr. 20 am 8. Mai 1975 veröffentlicht und immerhin schon mit 350,-- DM honoriert.

   Mathes Herr Vater, der zwar nicht mehr im NCO-Club der Cooke-Barracks Live-Jazzmusik spielte, sondern nun vermehrt Hochzeiten und Feiern musikalisch aufpeppte (und Max Greger und Paul Kuhns Einladungen leider nie angenommen hat), erkundigte sich, mit vielsagendem Blick auf das „viele Geld“ für eine halbe Stunde „Tippen“: „Du glaubst jetzt aber nicht, nur weil du in der Schillerstraße geboren worden bist, bist du Schriftsteller?“

   Doch. Glaubte Mathe. Eigentlich schon, seit er Twains „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ gelesen hatte. Auch wenn er sich nur Autor nannte, weil er noch immer (und bis heute) alles liebt (und schreibt), was phantastisch und spannend ist. Denn die Zeitschriften-Dramödien waren nur der Anfang. Schon bald kamen Zeitschriften-Kurz-Krimis, Heftroman-Krimis und Grusel-Krimis, Science Fiction-, Science Fantasy- und Fantasy-Buchübersetzungen, eigene Hardcover- und Taschenbuchromane und sogar eine Jugendbuch-Fantasy-Serie, Filmromane und Drehbücher für Kino- und TV-Filme dazu. Einer dieser Kinofilme trug den Titel „Das Arche Noah-Prinzip“.

   Ok, mein lieber Rhodan, ich sehe, du wirst unruhig und wunderst dich, ob dies alles jemals wieder zu dir zurück führen wird …

   Wird es. Genau jetzt. Denn so schließt sich Mathes Kreis:

   Aufgrund einer noch von Willi Voltz wenige Wochen vor dessen Tod im März 1984 ausgesprochenen Empfehlung wird Mathe schon Ende 1984 (zufällig auch Kinostart von: „Das Arche Noah-Prinzip“) von einem gewissen Werner Müller-Reymann angerufen, zu seiner Jugend-Fantasy-Serie und seinem bei Heyne-SF angekündigten Roman zum Film „Das Arche Noah-Prinzip“ befragt und schließlich unter Berufung auf WiVos Empfehlung gefragt, ob er einen gewissen Perry Rhodan kenne und womöglich auch gerne schreiben wolle.

   Das wollte Mathe, wie er auf den Knien kauernd versicherte.

   Alsdann wurde er nach Rastatt eingeladen … in die Heiligen Hallen jenes Verlages, der DEINE CHRONIK seit 1961 veröffentlicht, mein lieber Rhodan.

   Mathe darf seinen Schirm in einen Schirmständer stellen und demütig gefühlt zwei Monate vor Herrn Müller-Reymanns Cheflektoren-Schreibtisch sitzend ausharren, während jener lässig dortselbst mit galaktisch Wichtigerem zugange ist. Erinnerungen an den Weihrauchduft in der Eingangshalle eines gewissen Pfarrhauses in Eislingen durchwogen Mathe, und wie immer, wenn er innen drin in sich Ruhe braucht, muss er nur die Augen schließen und sich auf den Wahnsinnsrundblick Richtung Weinberge konzentrieren. Und schon ist alles wieder da, inklusive Ruhe in ihm drin.

   Er hüpft also nicht auf Herrn Müller-Reymanns Cheflektoren-Schreibtisch.

   Er  trampelt nicht darauf herum und erst Recht nicht auf den Fingern des Schwerbeschäftigten.

   Er lernt einen ersten deiner Chronisten kennen: den charmanten Vlcek Ernstl (neben Willi Voltz und Horst Hoffmann damals sein Lieblings-PR-Autor), der ihn an jenem Tage gar nicht wahrnimmt, weil er mit einer äußerst willigen Sekretärin flirten muss. Vermutlich, weil sein Wiener Schmäh einfach großzügig verteilen will und er Herrn Müller-Reymann eh kennt und weiß, dass der sowieso immer mit Arbeiten beschäftigt ist.

   Thomas Ziegler trifft ein, Mathe hält ihn erst für Jesus, auch seines Weihrauch-Flashbacks wegen.

   In der Folge versammeln sich noch weitere deiner Chronisten ringsumher, und Mathe lernt sie glückselig taumelnd und sprachlos kennen, sogar beim Essen und im Verlauf einer Verlagskonferenz, bei der er genau NULL kapiert, weil in seinen Ohren wieder jenes Sausen vorherrscht wie damals, als der legendenumtoste Chef der Friede-Bande ihm den Umtauschkurs Penthouse – Hansrudi Wäscher Piccolos verkündete.

   Irgendwann wird Mathe mit Horst Hoffmann im selben Zugabteil von dannen reisen und feststellen: „Ey, Mann, ich hab meinen Schirm im Verlag vergessen!“

   HoHo spricht noch immer kein Wort mit ihm, was jedoch nicht weiter schlimm ist, da Mathe schon gefühlt tausend Jahre darauf in einen anderen Zug gen Stuttgart und Göppingen umsteigen muss.

   Tags darauf bietet Herr Müller-Reyman – wieder telefonisch – Mathe der Reihe nach die Mitarbeit bei den Serien „Atlan“ und „Mythor“ an, allerdings unter der Bedingung, dass der Herr Autor exklusiv zur Verfügung steht.

   Was Mathe, unter zaghaftem Verweis auf das ursprüngliche Angebot und seine noch zaghafter ins Auge gefasste Karriere als Drehbuch- und Jugendbuchautor dann dankend leider nicht garantieren kann und will.

   Trotzdem trudeln am übernächsten Tag gleich zwei „Mythor“-Exposés von Ernst Vlcek ein, für den „Mythor“-Doppelband 169/170 („Masken des flammenden Todes“/ „Hüter des magischen Feuers“). Der schließlich, von dem überreich mit Phantasie und Schreib-Disziplin gesegneten Hanns Kneifel geschrieben, veröffentlicht wird.

   Zweiundzwanzig Hefte nach Hanns Kneifels Doppelband ist die zuletzt 14-täglich erscheinende Fantasy-Heftromanserie „Mythor“ Geschichte.

   Werner Müller-Reymann stirbt im Mai 1986, an seinem 50-sten Geburtstag bei einem tragischen Verkehrsunfall.

   Die SF-Heftserie „Atlan“ teilt 1988, mit Erreichen des Bandes 850, „Mythors“ Schicksal.

   Mathe machte sich so seine Gedanken über all das. Und über das Schreiben, den Ruhm, das Leben im Speziellen.

 
                                                                                                                        ****

Viel-viel später wird ein anderer Chef deiner Chonik, mein lieber Rhodan, dem guten Ex-KIRCHENBLÄTTLE-Austräger auf seinen in einem Mikro-Fanzine namens „Baden-Württemberg Aktuell“ veröffentlichten Satz „Wenn ich groß bin, möchte ich immer noch gern mal Perry Rhodan schreiben …“ antworten – und zwar der legendäre Klaus N. Frick, dem du, mein lieber Rhodan, in der Realwelt eine verdammte ganze Menge zu verdanken hast!

   Dieser KNF wird Mathe die Mitarbeit in einem zu jener Zeit geplanten „Atlan“-Zwölfteiler anbieten – in welchem, vermag der VdZ ausnahmsweise nicht mehr zu sagen, leider, weil er gewisse Details als traumatisches Erlebnis verdrängt hat, um nicht auszurasten.

   Doch weil der VdZ damals wie auch heute noch (irgendwie) Mathe ist, weiß er eines noch sehr genau: Wie ehrlich gefreut er sich hat, dass UWE ANTON damals sein Ok gab zu dem Angebot. Genau das war zu jener Zeit nämlich nicht selbstverständlich, hatten sich die beiden Herren Autoren doch etwa 1984/1985 in einem dereinst hoch renommierten SF-Blättle namens „Science Fiction Times“ mal kurz heftigst in der Wolle, via Leserbriefen.

   Ex-SF-Times-Redakteur und SF-Times-Mitherausgeber Uwe Anton erwies sich als fairer Mensch und Kollege.

   Mathe hatte kürzlich erst die OP eines Gehirntumors überstanden. Gerührt dachte er an jene vier Helden und ihren alles entscheidenden Tag auf „dem Flugplatz“, im Schatten des großen Hangars … und nahm das Angebot zur Mitarbeit euphorisch und voller Tatendrang an.

   KNF, der wohlmeinende Chef des Ganzen, reiste gen Afrika in Urlaub. Mathe erhielt „sein“ Exposé von KNFs Kollegin zugeschickt … und kippte dank der laufenden ambulanten Chemo-Therapie mit einer Lungenembolie um.


                                                                                                                             ****

Warum ich dir das alles schreibe, mein lieber Rhodan? Zu deinem 60-sten in der Realwelt?

   Weil eigentlich nicht Sado-Betschwester, sondern DU an allem Schuld bist. An Gios und Mechs und meinem erfüllten Leben. Und weil dank dir und deinen Abenteuern in deiner Welt – ach was!, in deinen Galaxien  (die Johnny Brucks geniale Titelbilder so wunderbar noch realer werden ließen)  aus einem irre schönen Erlebnis immer noch mehr schöne Erlebnisse und leider auch ein paar verdammt traurige wurden.

   Tja. Wie gesagt, wir sind zurück in der MP-Typen-harten Realwelt-Wirklichkeit. Und noch fehlt der Schlusspunkt, nämlich das, was letzten Endes aus dem letzten unserer vier Helden geworden ist. Meinem damals besten Freund Jugo-Yannis.


Epilog 3: Nicht die Zeit vergeht, sondern WIR.

Yanis legte den von ihm selbst erwählten und während seiner ganzen Kindheit und Jugend voll trotzigem Stolz getragenen  „Kampf“namen Jugo ab, studierte Kunstgeschichte, begann zu Malen – und wurde, als er mit seiner Freundin per Fahrrad Paris erkundete, von einem Betrunkenen zum Krüppel gefahren; vier Jahre lang quälte er sich ab und schrieb dem VdZ Mathe ab und zu eine Karte mit Yannis-Poesie (a la„Nicht die Zeit vergeht, sondern WIR“). Auch verwahrte er sich dagegen, besucht zu werden oder Geld geschickt zu bekommen.

   Stattdessen beschwor er Mathe, Gio und Mech, ihn so in Erinnerung zu behalten, wie er an „diesem einen Tag war“. Eine Antwort wartete er nicht mehr ab. Er hatte insgesamt genug vom Anträge stellen bei deutschen Behörden, die ihn und seinesgleichen abwickelten. Ohne großes Tamtam nahm er sich das Leben.

   Der trashige Kontroll-Tower steht heute noch an Ort und Stelle und wacht über nun zerbröckelnde Start- und Landebahnen und Schießstände. Auch (mittlerweile von Unkraut überwucherte) Maschendraht-Stachelzäune gibt es noch.

   Ohne blutgetränkte Stacheldrahtrollen obendrauf.

   Aber  die Cooke-Barracks heißen ja auch längst nicht mehr „der Flugplatz“ sondern Stauferpark.


Copyright © Juni 2021 by Martin Eisele-Baresch

 


5. August 2021: Neben Lob für die »Wundertüte«, in der immer mal wieder Überraschendes zu entdecken und zu schmökern sei, gab’s kürzlich auch eine Kritik: Ob man sich SO wirklich das Leben eines Autors vorstellen müsse? – Na ja, müssen natürlich nicht. Nicht nur. Freilich gibt’s auch im Leben eines Autors, wie in jedem, Supertage und Katastrophentage ... auch solche, an denen sich der Verfasser dieser Zeilen so eindimensional fühlt wie nach einem Kometeneinschlag. Das Ganze bunt wie Smarties durcheinander. Aber, mal ehrlich: Wen interessiert es (wirklich), ob ein gewisser Schreiberling so dämlich gestürzt ist, dass er froh sein kann, noch beide Augen zum heldenhaft Tränen verkneifen zu haben? Oder, dass derselbe Schreiberling nur dank dieses Sturzes und seines tollen Zahnarztes zu seiner Erst- und Zweitimpfung kam ...?
OK.
Ertappt. Genaugenommen wäre das wirklich Stoff für eine wilde Geschichte. Aber davon mal abgesehen: Es reicht, finde ich, wenn einer wie ich ein bisschen zu oft Ärzt*Innen begegnet, ab und zu für ein paar Tage oder Wochen auch mal relativ hilflos ausgeliefert in Krankenhauszimmern oder gar auf der Intensivstation, weil zufällig eine Spinalnarkose ein bisschen zu hoch dosiert war und somit Atmung und Herz ein bisschen unnötig geblockt wurden.
 
Deshalb nachfolgend lieber flott zum ersten Teil meiner hymnischen Antwort auf die Frage, mit der jede Autorin, jeder Autor früher oder später konfrontiert wird:

WIE WIRD MAN SCHRIFTSTELLER?
 
Und weil dies, zumindest in meinem Fall, auch eine Menge mit einem gewissen PERRY RHODAN zu tun hat, dessen Weltraum-Abenteuer seit 8. September 1961 in ununterbrochener Folge Woche für Woche erscheinen, nutze ich die Gelegenheit und schreibe IHM auch gleich ...
 
SALUT, MEIN LIEBER RHODAN
Auf Deine ersten sechzig Realwelt-Jährchen als Unsterblicher!
 
Für Klaus N. Frick & Uwe Anton

Im Gedenken an Willi Voltz, Hanns Kneifel, Walter Ernsting & K.H. Scheer

1.: Rücksturz durch die Zeit: Aufschlag im Jahr 1969 oder 1970. Hey, wir reden hier über eine Zeitdifferenz von mehr als einem halben Jahrhundert … schon irre. Wär doch gelacht, wenn wir da nicht auf einige schöne (und für den Verfasser dieser Zeilen ein bisschen peinlich-gute) Erinnerungen stoßen würden, oder?


   Im Folgenden schließen wir deshalb mal für eine Weile die Augen und beamen uns zurück in eine Zeit und Welt, die dem Verfasser dieser Zeilen (VdZ) im ersten Moment fast schon selber wie Fiktion vorkommen wollen …


   Ah, da sind sie ja schon, unsere vier Helden:

   Gerade kommen sie aus dem Eislinger Pfarrhaus raus und die Treppe runter gehüpft. Und … es sind nicht Bull, Flipper, Manoli und Du, mein lieber Rhodan, sondern Yannis, Mehmet, Giovanni und Mathe. Einer erschreckt noch kurz die Katzen des Hausherrn, die im Pfarrgarten meditieren. »Wuff, wau-wau, ihr süßen Raubtiere!«, werden sie kurz aber liebevoll angefahren.

   Natürlich verharren die Katzen wenig beeindruckt in ihrem Yoga-Zen-Modus. Die vier Helden machen sich aus dem Staub – im Wolfstrab.  Wenn man zurückdenkt, sind sie eigentlich ständig gerannt. (Gibt’s das heute noch, im Zeitalter der  E-Bikes und klappbaren, höhenverstellbaren Scooter-City-Roller aus Aluminiumlegierung?)

    Das druckfrisch vom Herrn Pfarrer abgeholte KIRCHENBLÄTTLE will und muss verteilt werden, möglichst in Rekordzeit, einerseits für die darauf lauernden Schäflein der Gemeinde, andererseits, damit mehr Freizeit übrig ist am Ende des echt heißen Sommertags.

   Einer, Giovanni, genannt Gio, schafft das mit der Synchronisation des Wolfstrabs nicht so richtig, ausnahmsweise. Er bewegt sich eher roboterhaft ungelenk (Roboter mit solchen Bewegungsdefiziten gab’s damals noch, genau wie TERRA-SF-Romane), weil er eine zusammengerollte amerikanische Penthouse-Ausgabe hinten im Hosenbund stecken hat. Verständlicherweise will er das gute Stück nicht in vollem Galopp verlieren, und schon gar nicht will er, dass der Pfarrer gewisse nicht retuschierte Hochglanzfotos zu sehen bekommt. Man weiß, er späht gewissen schwarzen Schäflein hinterher, und nicht in sündiger Absicht.

   »Das wäre mein Tod, wenn ich damit erwischt werde. Aber heutzutage kannst du keinem mehr trauen, also muss ich es am Mann tragen!«, hatte Gio noch beim Betreten des Pfarrhauses geflüstert, auf den Marmor-Stufen der Eingangshalle, umwabert von Weihrauchduft und flankiert von Engelsstatuen.  »Der Padre  ist nämlich so eng mit meiner Mama, weil die ständig beichtet … und ihr kennt meine Mama nicht. Nicht wirklich!«

   Tja, aber das taten die anderen drei. Natürlich. Allzu oft schon hatte sie sich ein originale Italiano-Spässchen draus gemacht, hinter den Jungs her zu schleichen, wenn sie, abgefüllt mit Spaghetti-Bolognese-Superscharf-à-la-Mama und bereit für ihre Lieblings-Themen Fußball, Kino, Chili-Christl, Comics und erste Sex-Erfahrungen von Freunden loszogen. – Ach, und muss es extra erwähnt werden? Derjenige, der das KIRCHENBLÄTTLE auszutragen hatte, heldenhaft unterstützt von seinen Freunden … war der einzige eingeborene Schwabe, Spitzname Mathe – dank seiner weithin bekannten spektakulären Unfähigkeit im lässigen Umgang mit dem Rechenschieber (gab’s damals noch, brauchte aber höchstens ein Professor Dr. F. Lehmann, Chef der Academy of Space Flight). Und bevor Glaubensfragen aufkommen: Man war unter den vier Helden einhellig der Meinung: a) mehr Gott, weniger Religion und b) der Austrägerlohn wird dringend benötigt, weil man sich Trilliarden von Wundertüten kaufen muss, in denen – neben Süßkram und wertvollen Freundschaftsringen aus fast echtem Silber – ab und zu Piccolos (oder, Wahnsinn!) Piccolo-Großbände aus dem Lehning-Verlag!) von Hansrudi Wäscher zu finden waren!

   Nick, Sigurd, Tibor, Falk, Rocky … Die Helden unserer vier Helden!

   Noch.

   Bis genau zu diesem Tag.

                                                                                                                    ****

Sogar Gio sammelte die Wäscher-Comics mittlerweile wie ein besessener Wahnsinniger.

   Ok, er nicht nur wegen der bunten Abenteuer, die einen aus diesen Heften heraus ansprangen und dafür sorgten, dass man sich selber wie ein Weltraum-, Dschungel- oder ritterlicher Held fühlte, sondern weil Mathe ihm gesteckt hatte, dass der legendenumbrauste Anführer der Friede-Bande für exakt 33 Akim-Tibor-Piccolos ohne mit der Wimper zu zucken eine mehr oder weniger komplette Playboy-Ausgabe rausgerückt hatte. Gio wollte damals noch Frauenarzt werden, genau wie sie alle … außer Mehmet, Spitzname Mech, der alles Technische heftigst liebte und außerdem manisch prakisch veranlagt war. Er schwärmte seit der Lektüre von Herman Löns »Im Forst« davon, als Erwachsener frei wie der Wind in und mit der Natur leben zu wollen – als Förster.

   Doch zurück zu Gio. Weil der sein Berufsziel ernsthaft verfolgte, wie er immer wieder glaubhaft versicherte, nahm er den Wechsel-Kurs PENTHOUSE – Hansrudi Wäscher-Piccolos selbstverständlich höchst interessiert zur Kenntnis, den Friede dem guten Mathe dereinst in weiser Voraussicht auch gleich verkündet hatte und den man seinen schrägen Freunden natürlich ZBV mitteilen musste:

   »Ein Penthouse-Magazine gibt’s dann für fünfundsiebzig Wäscher-Hefte, Großbände, Piccolos, gern auch gemischt. Sag`’s deinen schrägen Kumpels ruhig weiter, Mathe.« – Im Großen und Ganzen war das Friedes ganze Botschaft gewesen. Jedenfalls, wenn Mathe aufgrund des kurzzeitigen Sausens in seinen Ohren auch wirklich alles mitbekommen hat.

                                                                                                                     ****

An jenem besonderen Tag übersprangen die Vier das Verteilen des KIRCHENBLÄTTLEs, weil sie sich von Frau Hettick, Spitzname Sado-Betschwester,  nicht schon wieder den Tag verderben lassen wollten … wie in der Woche davor.

   Am KIRCHENBLÄTTLE-Tag in der Woche davor hatte sie doch tatsächlich das Wunder vollbracht, mit der einen gichtigen Hand ihr Seelenlabsal-Blättchen zu packen und mit der anderen Jugo-Yannis seine damals zufällig mitgeführte Lektüre St. Pauli-Nachrichten völlig überraschend aus dem Hosenbund zu rupfen und sie ihm mit Zeter und Mordio wahlweise ins Gesicht und um die Ohren zu hauen.

   Sado-Betschwester, die von unseren vier Helden alsbald trotzdem zur Heiligen verklärt werden sollte – warum, das wird sich den interessierten Leser*Innen erschließen  –  konnte nicht anders. Sie war a) hochbetagt und b) gerade deshalb seit etwa einem Jahr sozusagen super-gläubig. Um das bleiben zu können, lauerte sie am KIRCHENBLÄTTLE-Tag ab Kirchturmglockenschlag 14 Uhr auf ihre Lektüre.

   Und die Vier? Waren heute schon fast vier Minuten zu spät dran mit der Auslieferung derselben. Jugos, die sich auch noch stolz selber so nannten, Italienern und Türrrken brachte sie, wie allem Fremden, ein gewisses Misstrauen entgegen, respektierte sie jedoch – O-Ton – »ob der Kochkünste ihrer Gastarbeiter-Eltern«. KIRCHENBLÄTTLE austragende schwäbische Jugendliche, die mehr oder weniger frohgemut auf den Spitznamen Mathe hörten, mit den vorgenannten abhingen und in Sado-Betschwesters Schillerstraße sogar mit solchen und (!) einigen Mädchen, die zufällig auch in dieser Straße wohnten (eins davon, das frechste und schönste, himmelt Mathe bis heute heftigst an, und wird seinerseits zurück angehimmelt.) Federball spielten, waren ihr hingegen völlig suspekt.

   Dass unsere vier Helden es aber wagten, vor der feierlichen Übergabe des KIRCHENBLÄTTLEs an sie in ihrem Vorgarten (auch sowas gab’s damals noch) erst einmal ein paar ihrer merkwürdig schmeckenden Erdbeeren zu mampfen  – HÖLLEN-FREVEL!

   »Hab ich euch erwischt, SAUBUBEN!«, empfing Sado-Betschwester die vier, was sich bei ihr wie das Gegacker einer ihrer Hennen anhörte, kurz bevor sie sie eigenhändig köpfte und zum Sonntagsbraten degradierte. »Na, wie schmecken euch meine Erdbeeren mit dem alten Bauer-Müller seiner Jauche drüber?«

   Tja, und danach war Jugo-Yannis dann der furienhafte Prügelei mit den eigenen St.Pauli-Nachrichten zum Opfer gefallen. Und danach zog die Kunde von diesen Vorgängen weite Kreise in Eislingen. Sehr weite. Nur die nicht, dass Jugo sich bestimmt elf Mal entschuldigte, obwohl ihm die SPN ins Gesicht klatschte.

2.: Chaotarchen durchqueren die Todeszone, 1969 oder 1970.  »Nö, heute keine Austragerei!«,  waren sich unsere vier Helden also an jenem entscheidenden Tag eine Woche später alle einig, schon aus Solidarität dem guten Jugo-Yannis gegenüber … Außerdem hatte Gio trotz bisher fehlender ähnlicher Erfahrungen mit Sado-Betschwester (und weil das so bleiben sollte) hoch und heilig versprochen, jedem seiner Mit-Helden »eine gewisse Zeit« für das gewissenhafte Studium seines Anatomie-Magazins zu gewähren, sofern sie heute Sado-Betschwester ihr Seelen-Junk-Food vorenthielten und stattdessen locker blau machten.

   Die Wahl fiel ihnen leicht. Sie machten blau.

   Und das Schicksal nahm seinen Lauf.

   Der Nachmittag war noch jung, und Mama Gio weit und breit nirgends zu erspähen.

   Ach, und entscheidend war dieser Tag, nicht nur für Mathe. Nein, er veränderte das Leben eines jeden einzelnen von ihnen (und genaugenommen nicht nur von ihnen), wie man mehr als ein halbes Jahrhundert später mit Fug und Recht sagen kann. Bilanziert ergibt sich für den VdZ , dass dieser Blaumachtag eine gute Erinnerung ist, ein schönes Erlebnis und absolut wert, anlässlich Deines Jubiläums  8. September 1962 - 8. September 2021 gleich sechzig Jahre als Unsterblicher (Serienheld mit Millionenauflage) mal niedergeschrieben und  veröffentlicht zu werden, mein lieber Rhodan.

                                                                                                                      ****

Aber, der Reihe nach:

   Wie immer an Sommertagen wie diesem galt es für unsere vier Helden, gewisse Rituale zu befolgen.

   Das Wichtigste: Bei ihren Army-Freunden in den Cooke-Barracks vorbeischauen – jenem weitläufigen amerikanischen Militär-Sperrgebiet am Stadtrand von Göppingen und nahe der endlosen Wälder, die sich von Göppingen und Eislingen aus bis zum Fuß des geschichtsträchtigen Hohenstaufen ziehen.

   Das Headquarters 28th Infantary Division Goeppingen war ursprünglich  a) »die große Viehweide«, auf welcher der »Göppinger Maientag« und damit das Ende des Dreißigjährigen Kriegs gefeiert wurde, b)  ab 1926 das Arreal des Göppinger Flugplatzes , c) im Juni 1930 Schauplatz des »1. Göppinger Flugtags« mit 50.000 Besuchern, einem Event, dem zu Ehren auch das Luftschiff Graf Zeppelin vorfuhr. Tja. Und ab 1933 kamen gewisse deutsche Herrschaften nicht nur auf die Idee, ein Tausendjähriges Reich zu errichten, sondern befahlen auch, die hybride Göppinger »Viehweide« samt »Flugplatz« zum Fliegerhorst und einer Deutschen Verkehrsfliegerschule hochzurüsten. Ab 1934 stationierten sie zudem ein Nahaufklärungsgeschwader dort.

   Das hielten Mathe plus Freunde für den einzigen Geniestreich der Nazis – setzten sie die vier zum Glück spätgeborenen Freunde damit doch an die Quelle amerikanischer Kultur – Kaugummi, Ice-Cream in den aberwitzigsten Farben, Torten mit Milliarden von Kalorien und tonnenweise Zucker … und natürlich …COMICS! Die Nazi-Gräuel aufzuarbeiten und zu verdauen … das kam später, und umso intensiver.

   Der »Tausendjahresplan« jedenfalls implodierte bekanntlich aufs jämmerlichste und schrecklichste zugleich. »Die Amerikaner« besetzten nicht nur Göppingen. »Die Göppinger« jedoch ergaben sich – anders als in Bernhard Wickis Film »Die Brücke«  – vernünftigerweise »nahezu kampflos«, wie in den Chroniken nachzulesen ist. Und der Göppinger Ex-Flugplatz bzw. Ex-Fliegerhorst samt im Krieg aufgeriebenem Nahaufklärungsgeschwader wandelte sich zur »amerikanischen Luftwaffenkaserne«, (O-Ton Eingeborene: »der Flugplatz«)  und wurde 1949 hochoffiziell  zu »den Cooke-Barracks« umbenannt, zu Ehren von Captain Charles H. Cooke jr., der sich 1943 bei einem Angriff gegen die deutsche »Division Hermann Göring« in Sizilien einigen Ruhm verdient hatte.

   Um es abzukürzen, mein lieber Rhodan: Als Du in deinem Jahr 1971 kurz vor einem drohenden Atomkrieg zwischen Westblock, Asiatischer Föderation und Ostblock mit der STARDUST Richtung Mond durchgestartet bist, lebten im Realjahr 1970 rund 2.000 Deiner Landsleute auf »dem Flugplatz« außerhalb Göppingens und Eislingens. Viele lebten mit ihren Familien dort. Zur Zeit des kalten Krieges in der Realwelt kamen immer noch mehr Soldaten hinzu. Der Stützpunkt wurde erweitert, die Start- und Landebahnen modernisiert (die Kasernen am Bürgerhölzle weniger) und ein heute an SF-Trashfilme der 1960er Jahre erinnernder Kontroll-Tower errichtet.  Dank der einmal jährlich gefeierten Deutsch-Amerikanischen-Freundschaftswoche und nicht zuletzt auch dank »Hoover-Speisung« (einem Hilfsprogramm für Kinder, ab 1949 aufgelegt) wurden die Amis im Lauf der Zeit zu Freunden und Mitbürgern und prägten das Stadtbild, nicht nur in Göppingen, sondern auch in Eislingen.

   Noch heute kursieren Legenden von zwei (!) bulligen, eisenharten Military Police-Typen, die ohne zu zögern sechs Ami-Soldaten aus einer Massenprügelei mit mindestens hundert Schwaben im Eislinger ADLER herausholten, während deutsche Polizisten, mit mehreren Wagen in der Hindenburgstraße (kein Witz!) stehend, erst einmal abwarten mussten, ob man nicht doch besser eine Million Leute Verstärkung angeforderte. Oder dadurch einen dritten Weltkrieg auslöste. Auch an einen grausig-spektakulären Frauenmord in den 1960er Jahren in der Nähe des Flugplatzes erinnert sich der VdZ.

   Ok, mein lieber Rhodan. Jetzt hast Du einen kleinen Eindruck davon, WOHIN unsere vier Helden an ihrem Schicksalstag zogen, was ihr RITUAL wirklich bedeutete. Ein Eindringen in die DANGER-ZONE. Das unerlaubte Betreten eines fremden, nämlich des amerikanischen Hoheitsgebietes.

   Natürlich wussten unsere Helden zwar in etwa, wo ihre Army-Freunde abzuhängen pflegten – entweder in den westlich gelegenen Wohnblöcken (also ziemlich weit durch »Ami-Gebiet«), oder aber, auch nicht ungefährlich – wegen Kontroll-Tower und Military Police! – im Schatten des großen Hubschrauber-Hangars in Nähe der Schießanlage beim Wald, Landefeld Süd-Ost, Richtung Officers` Golfplatz und Göppingen-Galgenberg. Das bedeutete allerdings noch lange nicht, dass die gefürchtete Military Police der Cooke-Barracks ein solches unerlaubtes Betreten für gut oder gar »amusing« befunden hätte.

   Ganz im Gegenteil.

   Andererseits gehörte Nervenkitzel nun mal unbedingt dazu, wenn unsere vier Helden schon mal das KIRCHENBLÄTTLE-Austragen sausen ließ und blau machten.

                                                                                                                   ****

Trotz aller Maschen- und Stacheldrahtzäune, die zwischen damals schon ausbleichenden und bröckelnden Betonpfosten gespannt waren, gab’s natürlich geheime Pfade dorthin, wohin sie wollten. Sie führten durch dichtes Brennessel- und Dornengestrüpp und (damals noch) dunklen Tannenwald. Kunde bekam Mathe von diesen Pfaden vom Vater einer damals (neben seinen Gastarbeiterkinder-Freunden) besten platonischen schwäbischen Freundin, auf langen gemeinsamen Streifzügen in der nördlich von Eislingen sich endlos dehnenden Hochebene  (O-Ton Eingeborene: »die Weinberge«), in deren Verlauf er auch jede Menge über Natur, Bäume, Wildtiere, Vögel, Blumen und Bienen erfuhr. Und, natürlich, warum in den Cooke-Barracks amerikanische Soldaten stationiert waren.

   Zu sehen waren von den Weinbergen aus in nord-westlicher Ferne nur ein paar Bauminseln und dahinter, erhöht, endlose Maschendrahtzäune. Dahinter wiederum Start- und Landefelder. Und der schon erwähnte Kontroll-Tower mit seinen grünen Fensterscheiben. Als Bonus und Phantasie-Trigger ab und zu: sehr lautstark startende und landende Hubschrauber. – Ansonsten, in nördlicher Richtung bis zum Hohenstaufen: nichts als dichter Wald. Genau dorthin rannten die Vier an diesem Tag. Gio nach wie vor mit einigen Problemen. Aber niemand hörte ihn klagen. Denn:

   Es galt, den Wald unauffällig zu erreichen. Von diesem Kontroll-Tower aus hatte man zweifelsfrei einen verdammt weiten Wahnsinnsrundblick. War man eingetaucht in den Wald, fühlte man sich dann schon eher wie Rocky, Sohn der großen Wälder, oder, noch besser – wie Tibor. Als deutsches Tarzan-Double wusste der natürlich genau, wo der beste der geheimen Pfade hinein in »den Flugplatz« führte, und in weitem Bogen vorbei an der mit Warnschildern und tonnenweise rostigem Stacheldraht gesicherten Betonanlage des Schießstandes der amerikanischen Streitkräfte und durch die Todeszone ebendieses dichten Waldes.

   Hartnäckig hielten sich damals Gerüchte, der erwähnte Stacheldraht sei eben nicht rostig-rot, sondern blutfleckig-rot, weil allzu viele neugierige, als Waldläufer jedoch extremst unfähige jugendliche schwäbische Scheißerchen erfolglos versucht hatten, ihn mit heilem Hintern und-so-weiter kletternd zu überwinden. – Sei’s drum. Unseren jugendlichen schwäbischen Scheißerchen gelang dies regelmäßig ohne Klettern. Mathe (und damit auch die anderen drei) wussten nämlich von jenem durch einen pfiffig dicht überm Boden waagrecht aufgeschnittenen Maschendrahtzaun  (vier Meter höher dramatisch mit BLUTFLECKIG-roten Stacheldrahtrollen gesichert), durch den man sich heldenhaft direkt hinein in ein paar bösartige Brennesseln rollen konnte, unter Opferung nur verhältnismäßig weniger Hosen- und Hautfetzen und Haarbüschel im Bereich Hinterkopf bis Nacken. Hatte man das überlebt und war man noch immer nicht von einem Scharfschützen der Military Police, kurz MP, oder einem Querschläger aus Richtung Schießstand niedergestreckt worden, befand man sich auch schon mittendrin in der Todeszone. Und ja: natürlich war all das dramatisch ein bisschen aufgepeppt worden von unseren Helden.

    Danach ging es im Zickzack über Stock und Stein, kleine Bachrinnsale und das, was sie zwar  Schluchten im Todeswald  nannten, aber mit einem Satz lässig übersprangen, zurück Richtung Offiziersvillen und Hubschrauber-Landefelder  Süd-Ost. Von diesen Betonpisten aus und durch Maschendraht mit normalem Stacheldraht obendrauf konnte man dann erst einmal den gigantischen Ausblick Richtung Osten und die Weinberge genießen.

   Braucht der VdZ heutzutage innen drin in sich Ruhe, muss er nur die Augen schließen und schon ist alles wieder da, inklusive Ruhe in ihm drin:

   Streuobstwiesen (die damals noch nicht so hießen, sondern einfach da waren, auf den Weinbergen), umgeben von Wiesen voller farbenprächtiger Wildblumen. Staubige Feldwege und weite Rüben- und Weizenfelder erstrecken sich scheinbar endlos und ewig (seit vielen Jahren schon sieht man zusätzlich zu  Streuobstwiesen, Feldwegen und Maisfeldern einen neueren Eislinger Stadtteil, mit zum Teil sehr riesigen Villen im Landhaus-Style). Hey! Eine einsame Kuhweide am Hang oberhalb der Steinenbäche gibt`s auch noch. Die betrachtet der VdZ immer mit gemischten Gefühlen, sieht er sich dort doch als Kind mit Großvater August einen roten Drachen steigen lassen und ziemlich umgehend von einem absolut mies aufgelegten Stier verfolgt werden.

   Kleine Bauminseln markieren jene Stellen, an denen unsere vier Helden die Überreste gesprengter Häuser wissen. Nach Regentagen sind die geborstenen Fundamente voller Froschlaichpfützen. Nur bei einer einzigen dieser Ruinen hatten sie, auf dem Bauch ein paar Meter weit in einen Keller vordringen können und dabei spektakulär zwei SS-Dolche ausgegraben.

   Und dann gibt es da noch das malerische Talkesselchen zu sehen, von dessen Steilwänden aus bröckeligem Schiefer alle Vier dank ihrer Zeiten als Louis Trenker-Doubles und den gemachten grausamen Erfahrungen mit gebrochenem Schlüsselbein, Handgelenk und-so-weiter wissen. Aber sie wissen auch, wenn sie diesen ihren gigantischen Abenteuerspielplatz betrachten:

   Freundinnen, mit denen man diese Runde abbummelt, lechzen nach dem Nervenkitzel in der Todeszone und dem bald darauf möglichen herrlichen Rundblick spätestens auf dem sonnigen Plateau überm Talkesselchen nach einem Küsschen.

   Erst viele Monde später entdeckten unsere Vier, dass es kürzere, weil direktere Pfade gab. Nicht nur zu ihren Army-Freunden.

   Auf alle Fälle aber gab’s hier wie dort für alle Mühen immer die ganz-ganz große Belohnung.

 

FORTSETZUNG UND FINALE FOLGEN ... spätestens am 8. September 2021.

 


2. Juli 2021: Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude und Schmökern macht unsereins ja wohl sowieso immer Spaß. Deshalb hier und jetzt eine kleine Vorab-Leseprobe aus Lars Vollbrechts und meinem kommenden Jugendbuch »Die Mitternachtsschule und andere Entdeckergeschichten«, das wohl mindestens sieben umfangreiche wilde, humorvoll-spannende und buchstäblich phantastische Leseabenteuer enthalten wird: »Etwas Geheimnisvolles im Meer«, »Sturmstreichler«, »Der Ideenfinder und das Fragetüm«, »Lena und die Lufträuber«, »Der Zauberzirkus«, »Zack - Skateboardsitter«, »Die Mitternachtsschule« und »Monty und die Raketenbesenhexe«. Viel Spaß!
                                                                                                                         *

MONTY UND DIE RAKETENBESENHEXE

Seit Tagen schon fühlte Monty Cristo sich hundeelend, und das, obwohl er ein Kater war.
   Einigen wilden Gerüchten zufolge stammte er von einem waschechten Wildkatzenvater und der Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin einer königlichen Schmusekatze ab, die auf der Suche nach Abenteuern mit zwei Zwergen auf dem Rücken eines Drachen über eine der Sternenbrücken in die Welt der Menschlinge gekommen war. Schlappmachen wegen ein paar Zipperlein war bei einer solchen Herkunft also gar keine gute Idee.
»Tja. Und sowieso: Stichwort Abenteuer! Ha-ha. Witzig!«, brummte Monty und fand das alles einfach kein bisschen witzig.
   An diesem kühlen Sommerabend lag er lang ausgestreckt auf dem alten, verwitterten Holzgeländer der Terrassenveranda und schaute dem Regen zu, der plötzlich loströpfelte. Nicht nur deshalb schnaubte Monty jetzt ab und zu. Er schnaubte gern, wenn er gefrustet war. Wenn er gefrustet war, fuhr er auch gerne mal seine langen Krallen aus. Wie Sicheln waren die immer noch, nur nicht mehr so mega-rasiermesserscharf wie früher.
   Schon klar, dachte er. Zu wenige Reviermeisterschafts-Kämpfe.
   Früher, zum Beispiel, fanden die regelmäßig statt. Oder Kämpfe mit diesem Marder, der einmal zu oft beide Kabel der Auto-Batterie gleichzeitig angenagt hatte und deshalb komplett am Rad drehte und nun alle Autos vernichten wollte. Das waren vielleicht Keilereien gewesen, mit dem!
   Die Marder-Gedächtnis-Narben am linken Ohr trug Monty noch heute voller Stolz.
Trotzdem hatte sich erst gestern ein junger, rot-weiß getigerter Kater-Kollege halb tot gelacht über ihn. Dabei war er beim Stolzieren nur mal kurz über seine eigenen Vorderläufe gestolpert.

                                                                                                                           ****

Weil ihn speziell mit dieser letzten Erinnerung gleich noch ein unschöner Bonus-Frust heimsuchte, schlug Monty seine Krallen tief rein in das knochenbleiche Holz der Veranda und wetzte sie anschließend ein bisschen.
   »Allzeit bereit!«, flüsterte er, nachdem er das Ergebnis seiner Maniküre kritisch betrachtet hatte. Er fand, es hörte sich schon wieder ziemlich verwegen an.
   »Na, Champion, träumt man wieder von der guten alten Zeit?«
   »Nur davon, wie ich dir beigebracht habe, ganz schnell davon zu hoppeln, wenn du auch nur meinen Schatten riechst. Übrigens, Wölkchen, pass nur auf! Direkt über deinem Kopf hängt eine Brombeere ziemlich locker an ihrem Stängelchen. Die könnte auf dich runterfallen und dir deine letzten elf Gehirnzellen durcheinanderbringen.«
   »Ey! Prima! Dann muss ich dringend wieder aufgepäppelt werden.«
   Wölkchen residierte in der Villa nebenan. Seit sie von ihren Menschlingen vor vielen Jahren aus einem Tierversuchslabor befreit worden war, hatte sie nur noch drei Läufe und einen noch gewaltigeren Dachschaden als der Marder. Deshalb schwang sie heutzutage bei allen sich bietenden unpassenden Gelegenheiten allzu gern wilde Reden darüber, wie wichtig ihr Labor-Job gewesen sei.
   »Mit meiner Hilfe haben diese genialen Menschlings-Akademiker die tollsten Duft- und Aromastoffe für Lippenstifte und Achselsprays entwickelt, Leute – das kann mir keiner nehmen!«, war einer ihrer Lieblingssätze. Monty fand, dass sie trotzdem eine coole Socke war. Dass sie es bis heute liebte, zu Tierärztin Eisenecker geschleppt zu werden und Spritzen verpasst zu bekommen, war eben ihre persönliche Note. Was zählte, war, dass sie nie aufgegeben hatte. Unverwüstlich hielt sie ihre Menschlinge mit eiserner und doch liebevoll-sanfter Pfote auf Trab und damit jung und beweglich.
   »Gib's zu, Alterchen – heute hast du nicht bemerkt, dass ich mich anpirsche!«, trumpfte Wölkchen gerade auf. »Ist keine Schande. Und übrigens, ich hab's schon gehört, dass du beim Stolzieren über die eigenen Vorderläufe gestolpert bist. Dieser junge Majo-Ketchup-Typ ist ein Schwätzer. Aber du und ich, wir sind trotzdem in Ehren steinalt geworden.«
   »Na, klar doch, Wölkchen«, gähnte Monty ganz besonders betont lässig, obwohl er am liebsten ins Geländer gebissen hätte. »Träum du nur schön weiter vom Ruhestand.«
   Wölkchen zog grinsend mit hoch erhobenem Schweif ab, und zwar insgesamt wirklich kaum lauter als eine Ameisenarmee auf dem Kriegspfad. »Ich kann dich auch gut leiden, Monty«, flötete sie ihm zum Abschied noch zu, natürlich ohne zurückzublicken. Katzen, egal ob männlich oder weiblich, sehen niemals zurück, immer nur nach vorn.
   Es regnete ein bisschen heftiger, und er machte sich Vorwürfe, weil er seine alte Freundin nicht eingeladen hatte, zu ihm herauf zu springen und es sich neben ihm gemütlich zu machen. Sie hätten gemeinsam ein bisschen die Schwerkraft verspotten und, vor allem, den Ausblick auf die Regenschleier ringsum genießen können.
   »Superspannend, echt jetzt!«, zischte Monty. »Regen, ein durchgeknallter Tierärztinnen-Fan und ein alter Reviermeisterschafts-Champion. Heutzutage geht`s in meinem Katzenleben wirklich drunter und drüber!«
   Nicht mal seine geheimnisvollen Katzensinne verrieten ihm zu diesem Zeitpunkt, was ihm noch blühen sollte an diesem Abend.

                                                                                                                          ****

Wind raschelte in der Brombeerhecke, die neben der Terrasse bis in den ersten Stock des Menschlingshauses empor ragte. Wichtigtuerisch rauschten die Wipfel der drei hohen Tannen, die ganz weit hinten im Garten so taten, als seien sie es, die hier alles bewachten. Es war dunkler geworden. Regentropfen trieben heran. Ein kalter Guss erwischte Monty hinter den Ohren, die er lauschend aufgerichtet hatte. Nur zur Sicherheit, falls Wölkchen doch noch einen ihrer kleinen Überraschungsangriffe landen wollte. Obwohl sie nämlich nur noch einen Hinterlauf hatte, war sie dank eisernem Training eine sensationell gute Hochspringerin und topfit. Jedenfalls solange ihre Menschlinge mit dem Helfersyndrom nicht in der Nähe waren.
   Monty Cristo stöhnte und fühlte sich noch hundeelender, weil es bei ihm genau umgekehrt herum war.
   Früher wäre er dem Wind hinterher gejagt, rauf auf die höchsten Tannen.
   Zwar nicht unbedingt auch wieder runter … zugegeben. Aber rauf auf jeden Fall.
   Was waren schon ein paar Millionen Regentropfen und der Wind? Pah, gar nichts waren die.
   Doch. Alles waren sie!
   Das pure Leben! Wilde, unbändige Lebensfreude.
   Und hier und jetzt? Wo waren die herrlich verwilderten Gärten, in denen Generationen von Katzen-Clans entspannt ihren geheimen Katzenrat abhielten? Menschlinge hatten ihre Behausungen mitten hinein gebaut. Und überhaupt: Wie eine Heuschreckenplage breiteten sich immer noch mehr Menschlinge und Gerüche aus, und mit ihnen waren ein paar echt üble Konkurrenten gekommen, darunter viele Hunde. Und alle waren plötzlich gefühlte tausend Jahre jünger als er und grob geschätzt eine Million Mal stärker sowieso. Die Hunde pinkelten fröhlich jaulend gegen jeden Busch, der bei drei nicht in den Wald Reißaus genommen hatte. Und seinesgleichen gaben nun vor, Nahkampf-Spezialisten zu sein und hörten auf Namen wie Elvis und Puschel. Manche waren stolz darauf, ganz exklusive Züchtungen zu sein, vor allem die ständig frierenden Nacktkatzen.
   Dennoch … oder gerade deshalb trollten sich die meisten Neuen meist schon beim ersten lauteren Kampfschrei.
   Von wegen – Reviermeisterschafts-Kämpfe. ALLES war total öde und bequem geworden. Sogar er selber. Seine täglichen Reviergänge hatte er sich längst schon in Sektoren eingeteilt, mit je vier bis fünf Kilometer langen Strecken, die er an vier aufeinander folgenden Tagen bequem der Reihe nach abschreiten und so lässig unter seiner Kontrolle halten konnte. Im Grunde clever, klar. Aber bis vor zwei Jährchen war er die mehr als sechzehn Kilometer noch an einem einzigen Tag am Stück gelaufen. Und die Massagen durch seine Menschlinge, die hatte er sich verdient.
   Tja, dachte er. Gib’s schon zu. Du bist wirklich alt und gebrechlich, und du lispelst, weil du nur noch einen Zahn im Maul hast. Und sogar seine Menschlinge wussten, dass er  nicht einmal mehr mit Mäusen trainieren konnte.
   »Von wegen – Hexenkater will ich mal werden, wenn ich groß bin!« Das hatte er seiner Frau Mama verkündet, kaum, dass er das erste Mal wackelig auf eigenen Beinen stehen konnte. Etwa elf Sekunden lang.
   Und? War er das etwa geworden?
   »Eben nicht!«, fauchte er so laut, dass eine Elster in wilder Flucht aus ihrem Versteck in der Brombeerhecke flatterte.
   Verlegen putzte Monty sich über die langen Schnurrhaare. Tja. Anstelle von Abenteuern und wilden Zaubereien bestand sein Leben nur noch aus Schälchen voller Milch, Wollknäueln zum Spielen und einem Beet mit Katzenminze.
   Alles in Bio-Qualität.

                                                                                                                                ****

Gefrustet hobelte Monty noch ein paar Dutzend Holzspäne mehr aus dem Balkon-Geländer.
   Ab und zu horchte er mit angehaltenem Atem, weil er dank seiner geheimnisvollen Katzensinne so langsam so eine Art Ahnung hatte, dass gleich etwas passierte.
   Und schon schweifte er in Gedanken verhängnisvoll wieder ab in die gute alte Zeit.
   Er war total verrückt nach Bio-Katzenminze. Milch liebte und hasste er. Beides gleichzeitig. Er liebte sie, weil sie schmeckte. Und er hasste sie, weil: nach Milchgenuss hieß es, ständig in den Garten rasen.
   Und was Wollknäuel anging: Öde, öde, öde! Würde er am liebsten vergessen!
   Warum also nur dachte er heute an all das?
   Ab und zu horchte er wieder, denn mittlerweile raunten ihm seine geheimnisvollen Katzensinne ziemlich übellaunig zu, dass er sich gefälligst mal zusammenreißen sollte. Dass es verdammt finster geworden war. Und dass ein verdammt übler Geruch vom Nachtwind herangetragen wurde.
   Aber Monty riss sich nicht zusammen.
   Noch immer nicht.
   Er schaltete nur lässig auf Nachtsicht um.
   »Zwanzig Menschenjahre vertan!«, lispelte er unzufrieden. »Das sind locker 125 Katzenjahre!«
   Potztausend. Kein Wunder, wenn er gefrustet war und es ihn überall zwickte und zwackte!
   Trotzdem. Zugegeben! Eigentlich hätte er zufrieden sein können. Seine beiden Menschlinge waren … angenehm. Also, dafür, dass sie eben    Menschlinge waren. Wenn er im Haus residierte, hockten sie nicht ständig vor dem Fernseher mit seinen unechten grellen Flimmer-Flacker-Bildern.
   Sie schmökerten gemütlich in Büchern, sodass seine superempfindlichen Ohren geschont wurden.
   Sie ließen ihm seine Ruhe, wenn er sie brauchte, und wenn er sich dringend zu ihnen quetschen musste, war das okay für sie. Das war gut für sie und für ihn. Beide Menschlinge hatten sich früh beibringen lassen, dass er nur als Freigänger wirklich glücklich war.
   Deshalb hatte er sich auch nicht aus dem Staub gemacht, als sie ihm feierlich den Namen Monty Cristo verehrten, nach dem Abenteuer-Roman »Der Graf von Monte Cristo« von Alexandre Dumas. Auf diesen Namen hörte er sogar ab und zu, obwohl ihm sein geheimer richtiger Katzenname natürlich besser gefiel.
   Aber gut, ja, zugegeben: Monty Cristo fetzte allemal besser als zum Beispiel der Menschlings-Geistes-Wahnwitz-Name Wölkchen.

                                                                                                                             ****

Ziemlich genau in diesem Moment zischte und krachte es, als sei der Mond direkt hinter Wölkchens Villa auf die Welt herabgestürzt. Überall kreischte, heulte, jaulte und donnerte es, und zwar gewaltig laut.
   Eine Art schwarze, kugelrunde Regenwolke sauste funkensprühend, dröhnend, rumpelnd in einem irren, trudelnden Sturzflug dicht über das Haus hinweg. Sturm tobte. Dachplatten wirbelten umher, regneten in den Garten herab und zerplatzten im Pool wie Geschosse, sodass das Wasser darin zischte und brodelte.
   Wieder krachte es, noch lauter sogar.
   Alles erbebte, die ganze Welt wackelte.
   Sämtliche Nachbars-Hunde heulten und kläfften wie wahnsinnig los vor Angst, als müssten sie gleich alle gemeinsam zu Tierärztin Eisenecker. Menschlinge rissen Fenster auf und schrien Flüche und allerlei Drohungen in die Nacht heraus, dass es in Montys empfindlichen Super-Ohren schon zu klingeln begann.
   Der Sturm, der im Gefolge des schwarzen Funkenregenwolken-Dings immer noch unbeeindruckt frohgemut für Aufruhr sorgte, klatschte eine patschnasse Blüte mitten hinein in Monty Cristos Gesicht.
   Monty grollte jetzt auch ein bisschen uncooler, schüttelte sich unwillig und hielt die Stellung.
   Wirklich ziemlich heldenhaft, wie er fand.
   Tja, wo war Wölkchen, wenn sie ihn mal so erleben konnte, wie er trotz allem immer noch war, wenn es darauf ankam?
   Sein Schweif zuckte von links nach rechts und wieder zurück – so heftig, dass sein knochiges Hinterteil fast von dem alten Geländer runter gerutscht wäre. Gar nicht heldenhaft, Mist! Diese kleine Selbstkritik lenkte Monty kurz ab. Trotzdem sah er sehr wohl, wie das funkensprühende Regenwolken-Ding im hintersten Winkel des Gartens einschlug.
   Eine der drei Tannen loderte sofort in grellen Flammen auf wie eine riesige Fackel.

                                                                                                                               ****

So schnell er konnte, zog Monty sich nun doch noch ins Haus zurück – und besann sich eines Besseren. Hey-ho! Da war es doch, das Abenteuer! Frei Haus geliefert!
   Mit allen Krallen gleichzeitig bremste er.
   Aber stehen blieb er nur kurz. Nur zum Horchen.
   Da! Der trommelnde Herzschlag einer verängstigten Maus, draußen im Garten, bei den Tannen! Tja, gemein! Hören konnte er immer noch mega.
   »Genug gehorcht und überlegt!«, fauchte er, sauste zwischen den Beinen seines sogenannten Menschlingsherrchens durch und die Treppe ins Erdgeschoss wieder runter.
   »Hey, Monty«, rief sein Menschling lachend hinter ihm her. »Was ist denn mit dir los? Hast du etwa wieder dein kleines Milchgenuss-Problem?«
   »Und du … Hast du etwa den kleinen Weltuntergang draußen nicht mitbekommen?«, brummte Monty … aber nur dezent leise, sozusagen nur in seine Schnurrhaare. Es war ohnehin egal. Menschlingsherrchen war ok, aber der Katzensprache nicht mächtig. Schon huschte Monty beinahe so geschmeidig wie in jüngeren Jahren durch seine Katerklappe.
   Einen Atemzug später setzte er prüfend die linke Pfote ins nasse Gras des Gartens und trabte los.
   Diesmal stolperte er nicht über die eigenen Vorderläufe.
   Alles in ihm war hellwach. Seine großen Ohren hatte er aufgestellt. Seine Schnurrhaare waren nach vorn ausgerichtet. Auch seine Tasthaare links und rechts an seinem dünn gewordenen Bauch nahmen jede noch so kleine Bewegung jedes noch so winzigen Grashälmchens wahr.  Und seine Nüstern …
   »Holla!«, knurrte er aufgeregt ganz tief aus der Kehle empor.
   Die eine Tanne brannte nicht mehr, sondern qualmte nur noch knackend.
   Hinter den beiden anderen aber flackerte es giftgelb. Und, es roch entsetzlich nach Höllen-Schwefel.
   Geheimnisvolle Katzensinne hin oder her. Irgendwie wurde Monty Cristo das Gefühl nicht mehr los, dass er gleich eine große Entdeckung machen würde. »Fragt sich nur, ob die mir dann auch gefällt«, nuschelte er.
   Wie ein Gespenst so lautlos glitt plötzlich Wölkchen an seine Seite. »Du willst jetzt aber nicht kneifen, oder?«, zischte sie. »Das ist die Chance auf jede Menge Tierarztbesuche, Pillen, Spritzen, Menschlings-Massagen!«
   »Oder einen viel zu frühen Tod.«
   »Sie nickte, ausnahmsweise mal ziemlich ernst. »Oder Schlimmeres. Sind dir schon mal Haare büschelweise ausgefallen? Ich hab damals im Labor angefangen, Opernarien zu komponieren. War bis dahin noch nie da auf dem Gebiet des Tierverhaltens.«
   Monty stupste sie mit der Kopfseite an. »Da packt mich doch gleich die pure Abenteuerlust mit voller Macht!«
   »Wir werden Helden sein! So, wie deine Mutter, die Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin einer königlichen Schmusekatze, die auf dem Rücken eines Drachens mit zwei Zwergen über eine der Sternenbrücken in die Menschlingswelt gekommen ist. Hoppsassa! Wer braucht da noch Spritzen! In tausend Generationen noch werden die geheimen Katzenräte aller Katzen-Clans über uns palavern«, säuselte Wölkchen total geflasht eine ihrer gefürchteten irren Ansprachen, wackelte mit ihrem Hinterteil und scharrte mit ihrem einen Hinterlauf, bis die Krallen dieses einen Hinterlaufs den richtigen Halt zu einem perfekten Abschnellen gefunden hatten. »Kampf und Tod! – Tod ist Freiheit und Legende! – Bereit, Champion?«
   »Aye!« Neugierig tief ins nasse Gras runter geduckt und stets auf Deckung bedacht schlich Monty schon voran.
   Die geschmeidig gleitenden Bewegungen von Wölkchen, der coolen Socke, spürte er dicht hinter sich. Wie ein bleicher Schatten schwebte sie mit ihm dahin.
   Sie ist wieder die Kämpferin, die sie war, bevor die genialen Menschlings-Akademiker mit ihrer Hilfe die tollsten Duft- und Aromastoffe für Lippenstifte und Achselsprays entwickelten, dachte Monty und spürte, wie ihre Begeisterung ein bisschen verzögert auf ihn übersprang. Wie gut er sich plötzlich fühlte! Alle seine Katzensinne funktionierten. Witterung. Nachtsicht. Schnurrhare. Tasthaare. Kein noch so winziges Beben in der Luft entging ihm. Monty lächelte verwegen. JA! Genau so hatte er sich das in seinen Träumen vorgestellt! Nur das Kläffen der Hunde störte ein bisschen.
   Mit seiner feinen Nase erkundete er weit voraus. Noch mehr seltsame Düfte. Behutsam schob er sich unter einem letzten besonders dichten Farnwedel hindurch und ignorierte den kleinen Wasserfall, der auf seine Stirn herab plätscherte.
   Und tatsächlich! Da war sie: die Entdeckung!
   Die Gefahr.

                                                                                                                               ****

Ein kleines, dickes Etwas – das nur auf den ersten Blick wie ein Menschlings-Weibchen aussah mit ihren langen wilden Zottelhaaren und noch wilderen Zottelkleidern –, stampfte ärgerlich auf einem komischen Dingsbums im Gras herum.
   »Sieben Mal verflucht und toter Kater! Von wegen genialer Raketenhexenbesen!«, schimpfte Zottelperson so laut, als ob sie allein wäre auf dieser Welt.
   Monty entschied sich, es trotz toter Kater erst einmal mit lässiger Höflichkeit zu versuchen. Von tief unten in der knochigen Brust herauf grollte er dem hüpfenden und trampelnden Wesen seinen Gruß entgegen und strich ihm um die Beine. Was nicht einfach war, wenn jemand hüpfte, trampelte und strampelte.
   »Grüße, Alien- Zottelperson. Wahrscheinlich verstehen Sie ja kein Wort …, aber, ähm – wenn wir helfen können …«,  sprach er Zottelperson an und hasste es, dass er auch dabei lispelte. Und sich beim nach oben spähen fast den Hals verrenkte.
   Schlagartig kam das Hüpftrampelding irgendwie bedrohlich zum Stillstand.
   Nur kurz noch ruderte es mit beiden Armen, vermutlich, um sein Gleichgewicht zu bewahren. Was Monty absolut verstehen konnte.   Schließlich drehte sich die Welt unablässig rundherum um sich selber, und schnell, sehr schnell.
   »WER WAGT ES …?«, kreischte eine fürchterlichst-laute Stimme los.
   Der Zottelhaarkopf ruckte herum.


18. Juni 2021 ... Fünf Geschichten sind fertig geschrieben für das neue Buchprojekt »Die Mitternachtsschule« – das nach dem Märchenroman »Kleiner Sohn des Unsichtbaren Volkes« wieder in Kooperation mit dem Illustrator Lars Vollbrecht und »Gloryboards« entsteht. Ein Artikel für eine Festschrift zum anstehenden Jubiläum 60 Jahre Perry Rhodan-Heftromanserie (die seit 8. September 1961 ununterbrochen wöchentlich erscheint) ist termingetreu abgeliefert, seit Anfang April gab es überraschend und erfreulich viel Zuspruch für den »Kleinen Sohn ...«, ein bereicherndes Journalistentreffen samt Fototermin (das noch immer so viel Stoff zum Nachdenken bietet).
   Aber ... Noch ist die Pandemie nicht so richtig unter Kontrolle. Deshalb dachte ich mir, dass wir uns ab hier und jetzt mal alle zusammen zurück in eine Zeit und Welt beamen, in der alles noch (na ja) normaler war. OK?
OK.
Ein Abenteuer wird es auf jeden Fall, versprochen.
 
UNTERNEHMEN WALDBADEN
Ein ziemlich wahres Abenteuer
 
1.
Auf Terra (Sorry: Einmal Science Fiction-»Spinner«, immer SF-»Spinner«) schreibt man Ende September 2018 ... Die Frankfurter Buchmesse wirft ihre Schatten voraus. Hektische Telefonate mit der Agentin oder dem Agenten, der vorab schon erste Eckpunkte für Deals abklären möchte oder abgeklärt hat. Antworten von Verlagsmitarbeitern dauern. Kohorten von Autoren schleppen ihre mannsgroßen Spiegel aus Kellern oder verstaubten Ecken und machen sich mit verwegen funkelnden Äuglein daran, jene Posen einzustudieren, die sie im Buchmessetrubel für ihre in Massen herbeigepilgerten Fans aus dem FF zu beherrschen gedenken. Zehn Autogramme, eins davon quer über die linke Brust? Kein Thema! Mit persönlicher Widmung? Klardoch. WAT?! UND mit Selfie?! (Baucheinziehen, Bedenken: Von oben fotografiert, sieht das Gesicht immer schlanker aus.
 
Sinnvollerweise sollte man als Schreiberling also vor dem genannten Frankfurter Event zusehen, dass man insgesamt »downshiftet« - um die ganzen Bussis, den ganzen Business-Smalltalk, die ganzen seriösen Schlipsträger gut ausbalanciert verkraften zu können.
   Nach Lektüre von Peter Wohllebens Superbestseller »Das geheime Leben der Bäume« und der in letzter Zeit häufig in den Medien zu findenden Info, dass zu viel Sitzen am Stück (= länger als eine Stunde ununterbrochen) »mindestens so gefährlich lebensbedrohend ist wie Rauchen« (Für Interessierte: Das hat mit der Verfettung der im Unterbauch untergebrachten lebenswichtigen Organe zu tun) gibt`’s da nur eines: Nutzen, was man heutzutage über den WALD weiß: Wer sich im Wald aufhält, der entspannt sozusagen ganz zwangsläufig. Wellness-Profis nennen das Waldbaden. Hat, unzähligen Studien zufolge, einfach ausgedrückt, mit den chemischen Ausscheidungen der Bäume zu tun, dem durch das Blattgrün sanft gefilterten Sonnenlicht und vielem mehr. Nicht nur bei hyperaktiven und ADS-Kindern wurden wahnwitzig gute Erfolge erzielt, ganz ohne ruhigstellende Medikamente, was Bayer-Manager definitiv not amused zur Kenntnis nahmen.
 
2.
Logische Konsequenz also für den VdZ: »Entspannter is besser!« Und so war genau heute ein gepflegter Waldbaden-Spaziergang in strammem Tempo fällig und genau richtig. Mal für einen Tag niemand sehen, keine traurig machenden Nachrichten hören, kein typisches Alltagsgeplapper von ausschließlich männlichen Autoren-Kollegen hören (»Du, ist Dein Frühjahrstitel noch immer nicht in den Top-Ten der SPIEGEL-Bestsellerliste?!«). Nichts von alldem, sondern: einfach gar nix hören. Höchstens den eigenen Atem (Bauchatmung), die eigenen Schritte. Dazu die eine oder andere Brombeere mampfen, frisch vom Brombeergestrüpp am Waldrand.
   Für einen Montag nicht der schlechteste Plan.
 
Und los geht`’s. Mit dem, was der gemeine einigermaßen erfolgreiche Schreiberling heutzutage für ein IN-Wägelchen hält – also wohl ein rotes 2004er Mustang V Coupé, Vierliter-V6-Motor mit 213 PS (eins, das der VdZ definitiv nicht fährt) auf den Parkplatz Eislingen/»Hundedressurplatz« gecruist, ausgestiegen, den Sitz der Kopfhörer überprüft ... und entschieden, dass das nun echt kein bisschen passt zu dem ursprünglich Vorgenommenen (Höchstens den eigenen Atem hören). Das Ganze ins Wägelchen zurück verfrachtet.
   Paar Lockerungsübungen.
   Und schon ist der VdZ zu Fuß unterwegs. Ohne Kopfhörer.
   Unternehmen Waldbaden beginnt.
 
Über Stock und Stein geht`’s einen schmalen Weg bergan, sehr langgezogen.
   Rechts, nach Osten hin, hinter hohen, wild wuchernden Hecken, senken sich Wiesen (abgeerntet) in sanften Wellen zum dunkel schimmernden Waldrand ab. Der VdZ weiß, dass der alte Jäger-Hochsitz dort unten nur noch in Trümmern existiert, leider. Früher hat er da drauf gern mal ein Buch gelesen, oder sich erste handschriftliche Notizen zu einem seiner Geschichtchen gemacht.
   In westlicher Richtung, hinter ebenso hohen Hecken (darunter Brombeerhecken, abgeerntet) - eine ehemalige Apfelplantage. Mindestens die Hälfte der Bäume, die es hier zu Kinderzeiten des VdZ noch heimzusuchen gab, musste einer Kuhweide weichen. Die Kühe stehen lässig um eine Tränke versammelt. Möglicherweise unterhalten sie sich telepathisch. Der VdZ macht sich Gedanken, worüber wohl. Vor einem gemauerten Gebäude steht ein riesengroßer Traktor (Für Interessierte: Das Mustang V Coupé würde locker drunter passen). Kein Traktor-Driver in Sicht, ergo kein Gülle-Alarm.

 

Es geht wirklich sehr langgzogen bergan. Der VdZ gibt sich bewusst neben der Bauchatmung auch der Übung der Achtsamkeit hin (nicht zuletzt derjenigen: nicht über einen der übel scharfkantigen Steine stolpern und der Länge nach stürzen, wie es ihm seit ein, zwei Jährchen immer wieder mal widerfährt). Er weiß: hat er den höchsten Punkt dieses Weges erreicht, wird er mit einem Wahnsinnsblick belohnt - auf die knapp acht Kilometer entfernte Burg »Staufeneck« (googeln lohnt, aus vielerlei Gründen – der VdZ verrät hier nur: Event Steakkultur - Summer Special, Location Burgbistro). Voller Vorfreude beeilt er sich also ein bisschen. (Bauchatmung nicht vergessen!)
   Und er genießt die Stille.
 
3.
Plötzlich: AUFRUHR! Zwar bestimmt ein, zwei Kilometer weit hinter ihm – in süd-westlicher Richtung, über einem weiten, malerischen Talkessel voller Streuopst-Wiesen, Waldstücken, schmalen Bächen und den zerbröckelnden Start- und Landebahnen der am 27. Februar 1996 vom letzten Kommandeur Jon Goodman ans Bundesvermögensamt übergebenen einstigen US-Enklave Cooke Barracks die heutzutage den nicht minder malerischen Namen Stauferpark trägt. Trotzdem ist er sehr deutlich hörbar, dieser Aufruhr. Und schon saust auch der dazugehörende Hubschrauber im Tiefflug übers Land. Das Geknatter stört nicht nur den VdZ, sondern auch die Kühe, die ihren telepathischen Diskurs darüber aufgeben, dass es im Grunde Scheiße ist, von Menschen nur unter dem Label »Steakkultur« verzückt wahrgenommen zu werden. In wilder Jagd galoppieren sie hierhin und dorthin.

 

Der VdZ erreicht den höchsten Punkt seines Weges, vermag den Fernblick Richtung »Burg Staufeneck« jedoch nur in Maßen zu genießen. Der Hubschrauber knattert in weiten, bald darauf in engeren Kreisen übers Land. Immer noch im Tiefflug. Was etwa ab dem Moment ungemütlich zu werden verspricht, ab dem er genau auf den VdZ zuhält. Weshalb selbiger eher halbherzig winkt, Motto: Peace, ich wandle in Frieden!
 
Der Hubschrauber fegt über ihn hinweg. Presswinde zerstrubbeln seine Haare. Der VdZ sieht zu, dass er die letzten 600 Meter zum Wald hinter sich bringt. Der Weg führt, jetzt pudrig-weiß, von Schlaglöchern gestanzt und steinig kerzengerade darauf zu. Schon schimmern links prächtig renovierte Villen, die noch vor wenigen Jahrzehnten marode Villen der Chefs der hier stationierten US-Streitkräfte waren. Die alten Stacheldrahtzäune an ihren Betonpfosten beließ man sicherheitshalber an Ort und Stelle; hier zumindest. Außerdem fallen Flutlichtanlagen auf, und, dass auch hier die Brombeeren bereits abgeerntet sind.
   Der Hubschrauber kreiselt direkt über dem VdZ und stört sämtliche wohligen Erinnerungen an die Zeit, als dies hier Niemandsland war. Als Zäune wie dieser nur vereinzelt pfiffig dicht überm Boden horizontal aufgeschnitten waren, auf dass man sich auf dem Bauch liegend hindurch- und hineinrollen konnte in bösartige Brennesseln ... und dann Geheimpfade entlangeilend frohen Mutes war, nicht von der Military Police erwischt zu werden, sondern demnächst mit den amerikanischen Army-Freunden abhängen zu können.
   Eine gewisse Jugendgruppe, bestehend aus einem Italiener (Gio), einem Jugoslawen (Yannis), einem Türken (Mech - ob seiner geradezu manischen Begeisterung für Hightech) und einem schwäbischen Ureinwohner (Mathe - da spektakulär schlecht im lässigen Gebrauch jedweden Rechenschiebers – und, man ahnt es: der Verfasser dieser Zeilen) praktizierte dies ziemlich regelmäßig leidenschaftlich. Man tauschte Hansrudi Wäscher-Comics, Penthouse, Playboy und allerlei anderes – nicht unbedingt in der hier dargestellten Reihenfolge –, aber dafür diskutierte man mit den amerikanischen Freunden kreuz und quer vielsprachig über Gott, Comics, Romane und die Welt, den kalten Krieg und den ganzen Rest und alle waren einfach verdammt glücklich, einander zu haben und sich nicht totschießen zu müssen, weil Befehl halt Befehl war.
   Nur mit Hansrudi Wäschers SIGURD, TIBOR oder NICK anzukommen – den Heroes unserer vier Helden bis zu einem ganz bestimmten Tag, der wiederum ein Abenteuer für sich war –, DAS sorgte für Heiterkeitsausbrüche, vor allem von einem Ami-Herrn, der auf den genialen Spitznamen Alpha Charly hörte.
   »Ouh, Kids, what the FUCK!«, war eine seiner Standart-Redensarten; was sozusagen zwangsläuig zu putzigen Disussionen Türkisch-Italienisch-Jugoslawisch-Schwäbisch-Amerikanisch und umgekehrt führte, und zum internationalen Austausch landestypischer Flüche und Beschimpfungen. Vor allem aber zu nicht wenigen Freundschaften, die bis heute bestehen.
   Aber, wie oben ausgeführt, der Hubschrauber stört das wohlige Erinnern. Schon bald stört der Hubschrauber auch nicht mehr nur allein. Aus dem Wald heraus kommt ein orangerot lackierter Wagen des Ordnungsamtes angerast, mit Staubwolke, zur Seite spritzenden Steinen, sehr laut rasselndem Motor, also insgesamt mit allem drum und dran. Der Wagen wird vor dem VdZ abgebremst, mehliger Staub senkt sich ... und wird von den Hubschrauber-Rotoren gleich wieder durchgequirlt.
 
Einer der beiden im Cockpit des Ordnungsamt-Mobils, der Fahrer, sehr bullig, lässt die Scheibe runter. »Auch schon aufgefallen?«
   »Der Hubschrauber?«
   »Welcher Hubschrauber?« Auch die Stimme von Ordnungsamt-Mobil-Fahrer ist irgendwie bullig. Aber freundlich.
   Der VdZ deutet mit dem Daumen vielsagend nach oben. »Direkt der da.«
   Kopfschütteln. »Nö, den mein` ich nicht, sondern die Bänke.«
   »Fragezeichen.«
   Eine riesige Hand (Für Interessierte: Heftromanheld G-man Jerry Cotton hätte jetzt PRANKE geschrieben) rammt ins Freie. »Na, die nicht mehr da sind, am Marienwäldchen! Direkt am Weg! Haben Sie sich da nie hingesetzt und den Ausblick genossen?!«
   »Es gab eine Zeit, bevor dort nebenan Kühe ...«, hebt der VdZ wehmütig an.
   »Ge-KLAUT!«, wird er barsch unterbrochen. »Einfach so. Bankräuber, sozusagen. Sind hier doch so Arschlöcher nachts mit Kleinlastern unterwegs und haben gleich mehrere Bänke aufgeladen und geklaut.«
   »Wer ist denn sooo dämlich?«, wundert sich der VdZ.
   »Nö-nö! Sooo blöd is das gar nicht! Die schmelzen die eisernen Gestelle ein, gibt pro Bank locker 150 Euro, bei zehn Bänken ...«
   Der VdZ rechnet. Ohne Rechenschieber. »Ja, kommt einiges zusammen.«
   »Wat? Sie müssen lauter reden, Mann!«, ermutigt Ordnungsamt-Mobil-Fahrer den VdZ, und der Beifahrer (Für einstige 320-PS-Jim-Fans: der Shotgun, sozusagen) erklärt: »Unser Motor tackert ziemlich laut! Seit der Otto letzte Woche den Ölwechsel gemacht hat, klingeln uns nach jeder Fahrt die Ohren ...«
   Seltsamerweise ergibt sich daraus eine muntere Unterhaltung, als der Hubschrauber endlich abdreht und Richtung Westen davon schwirrt. Im etwa halbstündigen Verlauf dieses Gesprächs erfährt der VdZ einiges Wissenswerte. Nämlich, dass ein Jäger die »vermutlichen« Diebe mal so um Mitternacht herum gesehen habe, »in einem von diesen riesigen Scheiß-Jeeps mit Ladefläche«, aber nichts unternommen hat, »weil, schließlich wollte der nicht umgelegt werden!« Auch, was die Einsatzkräfte des Ordnungsamtes so alles aus den Schründen tief im Wald, jedoch niemals allzu weit entfernt von Waldwegen, bergen müssen (Für Interessierte: es sind kaputte Kühlschränke, Mikrowellen-Geräte, Hausmüll, Farbkübel), wird ausgiebig und unter Verwendung von nicht wenigen sehr direkten aber treffenden Kommentaren mitgeteilt.
   Schlussendlich bekommt der VdZ, vermutlich, weil er nun doch etwas ungeduldig wirkt, noch eine aus tiefstem Ordnungsamt-Mobil-Fahrer-Herzen emporkollernde Warnung zu hören. »Seien Sie mal vorsichtig, so allein hier draußen.«
   »Also, wenn Sie den Hubschrauber meinen, der is ja nun weg ...«
   »Nö-nö-nö! Da lief uns erst letzte Woche so ein sehr dunkler Typ vor den Wegen ...«
   Shotgun assistiert: »... springt da so mir nix, dir nix aus dem Gehölz und wollte ...«
   Ordnungsamt-Mobil-Fahrer nickt; Muskelstränge lassen seinen Nacken schwellen. »Stellt sich uns SELBSTMÖRDERISCH in den Weg und winkt ... »
   Shotgun beugt sich an Driver vorbei, Richtung Wagenfenster: »Blockierte den Weg. Den WALDweg. DAS war vielleicht unheimlich. Was da hätt`passieren können.«
   VdZ: »Tja. Unsere Stadt ist nicht umsonst eine, die stolz ist darauf, dass sie eine Stadt der Vielfalt ist.«
   »Shotgun: »Eben. Und das ist auch gut so. Unheimlich war`s trotzdem.«
   Ordnungsamt-Mobil-Fahrer: »Zigaretten wollte der! Armer Nikotin-Junkie - in so einer wahnsinnstollen Gegend!«
   Shotgun: »Aber wir rauchen ja nicht mehr. Beide. Haben wir ihm gesagt, und ihn mit in die Stadt genommen.«
   Der VdZ, der ganz-ganz kurz eine Emigranten-Bashing-Debatte befürchtet hat, atmet tief aus und danach die supergesunde Luft des nahen Waldes ein. Sogleich spürt er die beruhigende Wirkung der chemischen Botenstoffe der Baumriesen.
   Waldbaden, denkt er. Entspannt echt.
 
4.
Man verabschiedet sich per Handschlag.
   »Trotzdem!«, brüllt Fahrer beim Gasgeben noch raus. »Seien Sie mal besser achtsam. Stichwort Bankräuber. Schließlich sind Sie ohne Auto unterwegs und eher so ein Hering-Typ.«
   Der VdZ lacht und beeilt sich, ins Dämmerlicht des Waldes einzutauchen. Endlich allein. Endlich Stille. Weiter. Denkt er. Über Stock und Stein. Fast zu spät sieht er die Frau. Es ist eine JOGGERIN. Sie rennt ihn ihrerseits fast über den Haufen.
   »Ah! Hallo Mathe!« Mit Grazie schiebt sie dabei eine riesengroße Superstar-Sonnenbrille hoch und lange blonde Haare aus dem hageren Extremsportlerinnen-Gesicht.
   Upps. SCHLUCK. Es ist eine Bekannte aus längst verdrängten Jugendtagen, die, wie zu vernehmen war, in den seither vergangenen Jahrzehnten einen ziemlich religiösen Menschen geheiratet, ein Kind bekommen und selbst zum ziemlich krass religiösen Fan (Für Interessierte: nicht katholisch) herangewachsen ist. Der VdZ erinnert sich an ein wildesTanz-Event im Pfadfinder-Keller (Bee Gees! Barry Ryan!) und, dass sie danach mit noch ein paar Freundinnen und Höllenspaß bei der Besichtigung des gerade im Rohbau fertiggestellten, künftigen katholischen Altenzentrums dabei war, etwa gegen 23.45 Uhr, durchgeführt von einer gewissen Jugendgruppe (bestehend aus einem Jugoslawen, einem Italiener, einem Türken, einem schwäbischen Ureinwohner). Letzterer meint sich sogar dran zu erinnern, dass sie währenddessen seine Hand gehalten hat. Was ihm und seinen Hormonen dereinst absolut nicht unangenehm war.
   »Du, sei bloß vorsichtig, so allein hier draußen ...«
   Der VdZ winkt ab; die Botenstoffe der Bäume wirken. »Du, hey, danke. Hat man mir gerade schon mal geraten, nur nicht so ... eindringlich ...«
   Aber sie wirken eindeutig nur bei ihm.
   »Was da alles hätte passieren können«, haucht Joggerin. »So ein TYP!!! Stell dir vor, der hätte eine Machete dabei gehabt!«
   »Hatte er definitiv nicht. Er wäre nur beinahe überfahren worden.«
   »Will bei einer HITZE wie heute im Wald RAUCHEN! Und vielleicht noch Übleres machen! Wenn dem eine Frau über den Weg gelaufen wäre ...« Das Stimmchen von Joggerin bricht.
 
Eigentlich will der VdZ nur in Ruhe seines Weges gehen, über Stock und Stein, und im herrlichen Duft des Waldes (Brombeeren und tausend moosig-erdige Aromen) schwelgen. Aber er widerspricht: »Hey, die Leute vom Ordnungsamt waren beide Nichtraucher, und du bist heute schließlich auch hier draußen allein unterwegs und zum Glück unvergewaltigt und noch am Leben - also ...«
   »Leute wie du, die alles verharmlosen, was diese ... diese Emigranten in unserem Land anrichten, sind es, die ...«
   BLA. Dröhn. Tinnitus.
   Es folgt von Joggerin ein hektischer Monolog zum Thema, und dass seit 2015 über Deutschland Flüchtlingswellen hereinbrechen, und Millionen von dunklen Gesellen, die allesamt sehr fruchtbar sind, uns Deutschen Arbeitsplätze und Sozialleistungen wegnehmen; über Mutti-Merkel und diesen Staat ohne Meinungsfreiheit und einen Statistiker, der mit genial aufklärerischen Büchern zum Bestsellerautor geworden sei in Deutschland. Vor allem aber spricht sie zunehmend enthusiastischer über einen genialen Prediger, der Joggerin stets seine neuesten YouTube-Videos schickt, die man kennen muss, will man informiert sein ... und, natürlich, Überraschung, eine Partei. Eine ganz bestimmte.
   Daraufhin drängt es den VdZ, Joggerin einiges zwar freundlich aber irgendwie auch ziemlich schonungslos ins Gesicht zu sagen.
   Er gibt diesem Drang nicht nach. Er betrachtet sie nur und denkt bei sich, wie Joggerin früher mal war, kess und fröhlich, und, dass sie sich heutzutage eigentlich mal in Erinnerung rufen könnte, dass sie ihr Leben lang nur Halbtagsjobs, Fahrradfahren, Religion, Bekehrung Anderer und Sportive Living praktiziert hat. Dass sie also, alles in allem, mucho froh sein könnte, in diesem Staat leben und für die Gesellschaft insgesamt relativ wenig tun zu zu dürfen.
   Daraufhin wiederum verkündet Joggerin dem VdZ, sich per Mail zu melden, und »das noch mit ihm zu diskutieren«. Eine Drohung, die sie bis heute nicht wahrgemacht hat. Einigermaßen verdattert und glückselig zugleich über diese unerwartete Entwicklung beobachtet der VdZ, wie Joggerin ihre Super-Sonnenbrille wieder an Ort und Stelle rammt und lostrabt, an ihm vorbei, gen Süden und Wald-Ausgang. Dort, von Helligkeit umwabert, dreht sie sich nochmal um und ruft frohgemut: »Wahrscheinlich magst du mich jetzt nicht mehr leiden, gell?«
   Die Antwort des VdZ wird übertönt von nicht minder frohgemutem Gewieher.
 
5.
Neben und seitlich hinter ihm ragen die Läufe stattlicher Pferde empor. Auf dem dazu gehörenden Pferd Nummer eins sitzt ein Mann in der Uniform berittener Polizisten, auf Pferd Nummer zwei eine Frau in einer ebensolchen. Derlei kennt der VdZ noch vom sogenannten schwarzen Donnerstag in Stuttgart, als Demonstranten gegen den phantastischen Super-Bahnhof »Stuttgart 21« gewisse Erfahrungen mit Berittenen, aber auch einigen panzerähnlichen Wasserwerfern, machen durften. Einer erblindete - sozusagen - im Zuge dieser Erfahrung (Für Interessierte:  Der damals zuständige - und alsbald abgewählte - Ministerpräsident von Baden-Würtemberg, ein gewisser Herr Mappus, erwägt zur Zeit eine Rückkehr in die Politik).
   »Hallo!« rufen die beiden berittenen Polizisten aus lichter Höhe zum VdZ herab. Ziemlich freundlich, weshalb sogleich die Botenstoffe der allgegenwärtigen Bäume ihrem Job wieder nachkommen können.
   »Suchen Sie etwa die Bankräuber?«, ruft der VdZ zu den Berittenen hinauf.
   Männlicher berittener Polizist zügelt seinen ungestüm tänzelnden Vollblüter und ermahnt ihn mit einem lässigen Tätscheln, nicht allzu ungestüm zu tänzeln.
   Der VdZ fühlt sich veranlasst, zu erklären: »Die Typen, die hier die Bänke klauen, auf denen im Bedarfsfall müde alte Wanderer ausruhen können sollten.«
   »Hahaha, echt jetzt - sowas gibt`s?« Behutsam lässt weibliche berittene Polizistin ihr edles Tier heranstaksen.
   »Ja.«
   »Nein, unser Einsatz hat leider einen viel ernsteren Grund ...«
   Und der VdZ, der den Wald aufsuchte, um keine traurig machenden Alltagsinfos und-so-weiter zu hören, um einfach mal so downzushiften, dieser VdZ muss nun entsetzt hören, dass mit sehr großem Aufgebot ein männlicher Jogger gesucht wird, 82 Jahre alt, der am vergangenen Freitagabend (zu diesem Zeitpunkt also vor mehr als 48 Stunden) an einem Waldsport-Treff zu seiner üblichen Laufrunde aufgebrochen war. Seinen Wagen hatte man dort noch stehend vorgefunden. Die Tochter des Joggers hatte die Polizei verständigt - und nun hoffe man sehr, ihn zu finden, befürchte aber Schlimmes.
   Als sei das noch nötig, blitzt im Dämmerlicht des Waldes Blaulicht auf, irgendwo hinter den beiden berittenen Polizisten. Ein blau-silberner Polizei-Daimler wird sensibel abgebremst, rückwärts in einen Waldweg gefahren. In entgegengesetzter Richtung brettert der Fahrer davon.
   Er fährt in genau jene Richtung davon, in die der VdZ in strammem Tempo und absoluter Waldes-Stille und Entspannung hatte gehen wollen, umwogt von den ätherischen, wohltuenden Düften und der Wellness-Wirksamkeiten des Waldes.
 
6.
Abermals werden noch einige freundliche Worte gewechselt. Der VdZ verpasst seiner Meinung über berittene männliche und weibliche Polizisten ein Update. Diese hier waren sehr um das Wohl und Wehe eines Menschen besorgt. Ein weiterer Beweis dafür, dass Verallgemeinerung dämlich ist. Dann geht beziehungsweise trabt jeder seines Weges, der VdZ nicht, ohne vorher noch zu versprechen, die Augen ebenfalls offen zu halten.
   Das tut er wirklich, wie er ab jetzt querwaldein wandert und alle öffentlichen Waldwege meidet.
   Den Hubschrauber hört er noch einige Male über sich im Tiefflug über die Wipfel donnern. Einmal kreuzt ein verschrecktes Reh den Weg des VdZ.
   Den verschollenen 82 Jahre alten Jogger aber findet er leider nicht.
 
Den alten Herrn findet man, wie der VdZ bei einer späteren kurzen Internet-Recherche erfährt, noch am gleichen Tag, in einem Entwässerungsgraben liegend, nur knapp drei Kilometer von seinem Auto entfernt. Völlig entkräftet.
   Aber lebend.
   FREUDE!
 
Epilog:
Der alte Herr wird in die nahegelegene Klinik eingeliefert. Tags darauf steht in der NWZ - Neue Württembergische Zeitung zu lesen, dass er vor mehr als dreißig Jahren mit dem Lauftraining begonnen hatte und seine Leukämie-Heilung stets auch auf das konsequente Laufen zurückührte.
   Der VdZ, der solche TYPEN sehr mag, dachte so bei sich, dass diese gute Nachricht das ganze Tamtam bei seinem Versuch WALDBADEN am Montag mehr als aufwog. Solche guten Nachrichten sind, wie er fand, eine Labsal in einer Zeit mit so vielen schlechten Nachrichten. Und damals gab es noch keine weltweite Pandemie, keine hunderttausende von Toten.
 
Am nächsten Tag stand in der Zeitung, dass der 82-jährige Jogger an den Folgen seiner Entkräftung gestorben ist.
 
Schon klar.
   Auch in Vor-Pandemie-Zeiten hat niemand uns je garantiert, dass das Leben fair ist.

 


Phantastisch spannende Abenteuer